Der Georgenberg in Micheldorf
An einem strahlenden Frühlingstag geht der Vater mit uns auf den Georgenberg. Der Weg führt durch Micheldorf, vorbei am Waldfriedhof zum „Burgweg“, der an der Ostseite des Georgenberges zügig emporsteigt. Bald erreichen wir den „Burghals“ und steigen weiter den Berg hinan. Buchen mit ihrem hellen Laub spenden uns Schatten und Kühle. Nach einigen Kehren stehen wir vor der Kirche auf der Kuppe des Berges. Gleich daneben liegt das Gasthaus, das alljährlich unzählige Fremde, die diesen wundervollen Ausflugsort besuchen, gastlich aufnimmt.
Der Vater rastet mit uns auf einer Bank. Ein herrlicher Rundblick! Im Westen erhebt sich die Kremsmauer, den Osten begrenzen die bewaldeten Hügel des Prellers. Nach Süden hin weitet sich der Blick bis an die Grenzen unseres Heimatlandes. Hohe Nock, Sperring und Warscheneck liegen vor uns. Nach Norden hin öffnet sich das obere Kremstal. Gleich einem blühenden Obstgarten breitet es sich vor uns aus.
Die Kirche steht heute leer, nur einmal im Jahr wird hier die heilige Messe gefeiert. Es ist dies am Sonntag nach Georgi, an dem der Georgiritt in alter Pracht abgehalten wird. Voran reitet ein junger Bauer als Ritter Georg mit seinem Gefolge. Ihm schließen sich die Bauernreiter an und Männer und Frauen in der kleidsamen Kremstaler Tracht. Unter den Klängen der heimischen Musikkapellen ziehen sie zum Heiligtum ihres Schutzpatrons.
Der Vater erzählt uns, daß hier zahlreiche Grabungen durchgeführt wurden. Schon aus dem zweiten Jahrtausend vor Christi Geburt wurden hier Funde gemacht. Die Geschichtsforscher nennen diese Jahrhunderte die Hallstattzeit. Schon damals war die Georgenbergkuppe besiedelt. Es stand auf ihr eine befestigte Anlage. Ihre eineinhalb Meter dicken Mauern aus grob behauenen Steinen können wir heute noch als Terrassen wahrnehmen.
Später erbauten die Kelten auf dem Berg einen Tempel, der dem Kriegsgott Tutates geweiht war. Der Name hat sich lange erhalten. In der Römerzeit wurde die Poststation im Tal, bei der heutigen „Gretzmühle“ gelegen, Tutatione genannt.
Zu dem Tempel gehörte eine heilige Quelle, die aus dem Westabhang des Prellers sprudelt. Der Vater zeigt uns den Weg dorthin. Noch heute sprechen die Leute in Micheldorf vom „Heiligen Bründl“ und besuchen es gern. Sein Wasser soll Augenleiden, Kopfweh und Wunden heilen. Seinerzeit wurde das Wasser sogar in Fäßchen verschickt.
Der Tempel auf dem Berg wurde zur Römerzeit zerstört. Als die Bewohner des Kremstales zum Christentum bekehrt wurden, entstand auf der Bergkuppe eine frühchristliche Kirche.
Die Zeiten waren damals sehr unruhig und unsicher. Eine Fliehburg sollte Schutz bieten. Zu ihrem Bau dienten teilweise die alten keltischen Mauerwälle. Ein Kommandantenhaus gehörte auch zu dieser Anlage. An der Nordwestecke der Kirche zeigt uns der Vater die durch Grabungen freigelegten Grundmauern dieses Hauses. Deutlich sehen wir die Zimmereinteilung, erkennen die römische Schlauchheizung und die Küche mit dem Backofen.
Im 12. Jahrhundert erbaute man eine Steinkirche auf dem Berg. Diese gehörte zur Herrschaft der Pernsteiner.
Nach den Pernsteinern kam der Georgenberg in den Besitz des Stiftes Kremsmünster. Unter Kaiser Joseph II. sollte die unbenützte Kirche versteigert und dann abgebrochen werden. Dies verhinderten die Micheldorfer Sensenherren durch den Ankauf des Georgenberges und erhielten dadurch dem oberen Kremstal das Wahrzeichen.
Interessiert lauschen wir den Erzählungen des Vaters. Doch er mahnt nun zum Aufbruch. Bergab steigen wir über den Kreuzweg und sind bald wieder unten im Tal.
Quelle: Heimatkundliches Lesebuch, Bezirk Kirchdorf an der Krems
Herausgegeben von einer Arbeitsgemeinschaft des Pädagogischen Institutes des Bundes für Oberösterreich, Verlag Quirin Haslinger, Linz
ISBN keine
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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