Die Mollner Prozession
An einem Pfingstsonntag zogen die Franzosen durch das Steyrtal. Not und Bedrängnis brachten sie ins Land. Sie raubten die Häuser aus, rissen den Bauern das Vieh aus den Ställen und nahmen ihnen das letzte Getreide weg. Auch die Bewohner von Molln zitterten vor dem herannahenden Feind.
„Die Franzosen plündern schon in Leonstein!“ schrie frühmorgens ein junger Bauernbursch, der über den Dorfplatz lief. In großer Hast vergruben die Bauern ihre letzten Habseligkeiten. Sie trieben ihr Vieh in die Wälder, und die Frauen und Kinder versteckten sich angsterfüllt in Kellern und Scheunen.
Doch nichts geschah. Es wurde Nachmittag, es wurde Abend, die Franzosen kamen nicht. Die Mollner begannen zu hoffen, und viele dachten im geheimen: Vielleicht kommen sie überhaupt nicht. Warum aber die Franzosen gerade ihren Ort verschonen sollten, konnten sie sich nicht erklären.
Nach vielen bangen Stunden ging endlich in der Nacht folgende seltsame Kunde von Haus zu Haus: Gerade als die Franzosen nach Leonstein marschierten, brannte der Zehetnerhof an der Straßenabzweigung nach Molln lichterloh. Die Soldaten zogen, ohne sich aufzuhalten, an der Brandstätte vorbei. Auch auf ihrem Rückweg übersahen sie den Fahrweg nach Mohn. Rauchende Trümmer versperrten den Weg, und überall stand geretteter Hausrat. Noch dazu verwehrten ihnen dichte Rauchschwaden die Sicht.
Wie atmeten die Mollner erleichtert auf, als sie diese Botschaft vernahmen, und sie gelobten, an jedem Pfingstsonntag in großer feierlicher Prozession nach Leonstein zu ziehen. Es war ja ein Pfingsttag gewesen, an dem sie vor Raub und Plünderung verschont worden waren.
Quelle: Heimatkundliches Lesebuch, Bezirk Kirchdorf an der Krems
Herausgegeben von einer Arbeitsgemeinschaft des Pädagogischen Institutes des Bundes für Oberösterreich, Verlag Quirin Haslinger, Linz
ISBN keine
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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