Die unheimliche Begegnung

Ein Bauer in der Mollner Gegend ging gerne Kartenspielen in die Nachbarschaft. Da sein Haus etwas abseits lag, musste er, wenn er zu einem seiner Nachbarn wollte, einen längeren Weg zurücklegen. An einem Heiligdreikönigs-Abend ging er wieder spielen. Als er um Mitternacht heimging, begegnete ihm auf halbem Weg ein unheimlicher Mann, der einen rauen Baumast als Gehstock benutzte. Der Bauer wich dem Manne scheu aus und wollte ihn vorübergehen lassen. Doch dieser blieb allsogleich stehen, stieß grimmig seinen unförmigen Stock seitwärts in den Schnee und sagte mit tiefer, brummender Stimme: „Muaß i den Kreb’n da einistcka.“ Von diesem Augenblick an war der Bauer, der Zeit seines Lebens ein feines Gehör gehabt, „stockterrisch“.

Er ging zu den Ärzten und tat sonst alles, was man ihm riet, damit er wieder sein gutes Gehör bekäme. Doch es half alles nichts, er war und blieb stocktaub. Da riet man ihm, er solle in der nächsten Heiligdreikönigs-Nacht zu der gleichen Stunde wie im Vorjahre, denselben Weg gehen, dem Manne aber, wenn er ihm wieder begegnen sollte, ja nicht „umstehen“, das heißt, nicht ausweichen.

Der Bauer tat, wie ihm geraten wurde. Richtig begegnete ihm wieder dieser merkwürdige Mann. Als der Bauer ihm nicht aus dem Wege ging, griff dieser grimmig und brummend nach seinem rauen Baumast, der wieder seitwärs im Schnee stak und sagte: „Muaß i den Kreb’n wieder außaziag’n.“ Von diesem Augenblick an war der Bauer von seiner Taubheit geheilt und sein Gehör war wieder scharf wie ehedem.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

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