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Das Waldweiblein vom Schoberstein
Im schönen Ennstal, auf der linken Uferseite der Enns, reckt der breitgelagerte Schoberstein sein 1278 Meter hohes, fünfhöckeriges Steinhaupt in die Lüfte. An seinen Hängen hinauf klettert der Wald und über ihm stehen starr und kalt die mächtigen steinernen, weißgrauen Höcker und sehen weit hinaus ins Land. Auch Bergwiesen dehnen sich bis hoch hinauf an seinen Hängen aus. In den Höhlen und Löchern der schroffen Felsen und im dunklen Walde des Schobersteines hausten einst, wie die Sage erzählt, geheimnisvolle Wesen, Bergmännlein und Waldweiblein, von denen manch reizendes Märlein erzählt wird.
Es war vor vielen Jahren, da hütete ein junges Mädchen hoch droben auf der Schobersteinwiese das Vieh. Fleißig mußte es sein und nicht mit einem Stecken, nur mit einem Staudenbüschel scheuchte es die Tiere von den jäh abfallenden Nordabhängen weg, wenn sie zu nahe kamen, damit keines in die Tiefe stürze. Da mußte es dann tüchtig laufen und achtsam sein. Dabei wurde es müde und hungrig in der frischen Luft und so freute es sich auf das Essen. Als es Mittagszeit war, nahm es die Schüssel mit dem Schmalzkoch, das ihm die Mutter mitgegeben hatte, setzte sich auf einen Holzstock und nahm die Schüssel auf den Schoß. Eben wollte es mit dem innen bemalten Holzlöffel in die Schüssel fahren, da sah es ein altes, verhutzeltes und arm gekleidetes Weiblein mit einem Haselnußstecken als Stütze beim Gehen in der Hand aus dem Wald auf sich zukommen. Das Mädchen sah erstaunt auf das kleine, fremde, arme Weiblein, das es hier noch nie gesehen hatte.
Das alte Weiblein, das voll Runzeln im Gesichte war, bat das Mädchen, es solle ihm das Koch schenken, denn es habe, wie es sagte, großen Hunger. Das mitleidige Mädchen gab dem Weiblein das Koch und sah zu, wie es die Speise mit großem Heißhunger verzehrte. Daher tat es dem Mädchen gar nicht leid, das Koch dem hungrigen Weiblein gegeben zu haben; anscheinend hatte es schon wirklich großen Hunger gelitten.
Als das Weiblein alles sauber aufgegessen hatte, sprach es zu dem Mädchen: "Ich danke dir für diese gute Speise. Schenke mir nun auch die Schüssel, die meine ist zerbrochen und kaufen kann ich mir keine." Einen Augenblick zögerte das Mädchen mit der Antwort, denn es fürchtete den Verdruß, wenn es ohne Schüssel heimkomme, konnte aber doch dem Weiblein den Wunsch nicht abschlagen und gab ihm die Schüssel mit den Worten: "Weil ihr aber wirklich ein armes Weiblein seid, schenke ich euch die Schüssel". "Du gutes Mädchen, es soll dich nicht gereuen; ich gehe jetzt, komme aber bald wieder".
Das Mädchen sah dem Weiblein nach, wie es über die Wiese ging und im Walde verschwand. Nach einiger Zeit kam es wieder zurück, gab dem Mädchen die Schüssel und sprach: "Weil du ein so gutes Kind bist, sollst du auch belohnt sein!" Dann ging es davon, hinein in den Wald. Die Schüssel aber war gefüllt mit funkelndem Gold, als Geschenk des Waldweibleins vom Schoberstein. Das Mädchen war nun reich und glücklich sein Leben lang.
Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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