Der abergläubische Müller

Das in Zwischenbrücken über dem Steyrflusse gestandene Objekt XII., das viele Jahre der Steyr-Daimler-Puch AG. gehörte und zur Kraftübertragung mittels elektrischen Stromes diente, wurde 1965 abgebrochen. An der Stelle dieses kleinen Elektrizitätswerkes stand über sechshundert Jahre eine uralte, ziemlich große Mühle; sie stand auf der durch den Zusammenfluß der Enns und Steyr gebildeten spitzen Landzunge.

Michael Heindl kaufte im Jahre 1832 diese Mühle, die im Laufe der Zeit viele Besitzer, darunter Adelige, einen Stadtrichter und sogar einen Herzog, gehabt hatte. Die Müllerfamilie Heindl gab der Mühle den bis zum Schluß gebräuchlichen Namen Heindl­Mühle. Die, wie gesagt, ziemlich große Mühle war zum Teil auf mächtigen hölzernen Rammpfählen über dem scharagdgrünen Wasser der Steyr erbaut, wie auf einem alten Bilde noch zu sehen ist. Mehrere große unterschlächtig angetriebene Wasserräder plätscherten und klapperten von früh morgens bis spät abends und auch des nachts. Diese Mühle mag neben den damals hölzernen Brücken über der Enns und der Steyr eines gewissen romantischen Reizes nicht entbehrt haben.

Neben der Getreidemühle gab es noch eine Schleiferei, an der die unterschiedlichsten Werkzeuge und Waffen geschliffen wurden. Auch war der Mühle noch eine Säge angeschlossen. Da hatten Müllerburschen, Schleifergesellen und Holzarbeiter reichlich Arbeit und Verdienst.

Einst hauste und werkte in der Mühle ein in seinem Wesen ganz eigentümlicher Müller, ein etwas geldgieriger und eigenartiger Kauz. Der Besitz der Mühle und der anderen angeschlossenen Werke brachten ihm nicht wenig Geld ein. So sammelte er blanke Silbergulden und harte Taler, die er in einer mit Eisenbändern beschlagenen, schweren hölzernen Truhe verwahrte. Aber sie wurde nicht voll. Daran waren seiner Meinung nach die schlechten Zeiten schuld und die um vieles ältere Spitalmühle gegenüber am jenseitigen Ufer der Steyr, die ihm so viel Konkurrenz mache; das Klappern des Wasserrades jener Mühle tat ihm in den Ohren wehe. Das war immer seine Klage. Es ist das alte Lied: Wer viel hat, hat noch immer nicht genug; er möchte noch mehr haben.

Da hörte er von einem Zaubermittel, das rasch reich mache. Dieses Zaubermittel sei, wie ihm gesagt wurde, eine Holunderstaude, auf die sich einmal ein Bienenschwarm mit jungen Bienen und ihrer Königin zum ersten Male niedergelassen habe. Eine solche Staude müsse er ober der Tür der Mühle anbringen. Geldgierig und abergläubisch, wie der Müller war, verschaffte er sich eine solche Zauberstaude und tat, wie ihm gesagt wurde.

Dieses Zaubermittel brachte ihm zwar nicht schnell mehr Reichtum als er ohnehin schon hatte, sondern etwas anderes. Die Leute, die an der Mühle vorbeigingen und die Holunderstaude ober der Tür sahen, schüttelten die Köpfe und - wie es damals war - vermuteten dahinter ein Teufelswerk.

Davon erfuhr auch die Müllerzunft. Sie verklagte den Zwischenbrücken-Müller beim Magistrat Steyr, daß er aus dem Grunde Zauberei betreibe, damit das Mahlen besser gelinge und er daher mehr Geld verdiene. Die Müllerzunft, bei der er, wie es scheint, ohnehin nicht gut angeschrieben war, wollte ihn ausstoßen. Doch das Stadtgericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. Er mußte 50 Reichstaler zahlen und außerdem einen Revers unterschreiben, in Hinkunft sich keines solchen Zaubermittels mehr zu bedienen .. Wo ist der Zwischenbrücken-Müller? Wo ist die Heindl-Mühle? Beide existieren längst nicht mehr.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.

 
designed by © Norbert Steinwendner, A 4300 St. Valentin