Der rotbartete Wildschütz

In Steyr lebte vor langer Zeit ein Zweckschmiedmeister, der das Wildern mit Leidenschaft betrieb. Der bewaldete, wildreiche Damberg und die anderen Waldberge des bergereichen Bezirkes südöstlich von Steyr waren seine Jagdreviere. Manchen prächtigen, mit schönem Geweih geschmückten Hirsch brachte seine nie fehlende Kugel zur Strecke. Er verschmähte auch die schönen Rehböcke nicht, wie sie in Gottes freier Natur herumliefen.

Er hatte einen struppigen roten Bart und ebensolche verfilzte Haare, die ihn viel wilder erscheinen ließen, als er in Wirklichkeit war; ja, er war ein gutmütiger Mensch, der niemanden etwas zu Leide tat. Er war der größte und der von den Lambergischen Revierjägern gefürchtetste Wilddieb, auf den sie förmlich Jagd machten. Oft wurde auf ihn geschossen, aber sie verfehlten ihn und er entkam ihnen immer wieder. Die Jäger hatten eine förmliche Scheu vor ihm. Und so verbreitete sich im Volk der Glaube, daß der rotbartete Wilddieb unverwundbar sei. Wenn die Jäger nach einem Zusammenstoß mit ihm im Wald in seinem Hause Nachschau hielten, konnte nicht eine Klaue gefunden werden. Den hohen Preis, den Graf Lamberg auf den Kopf dieses Wilderers ausgesetzt hatte, konnte sich kein Jäger verdienen, denn keiner konnte ihn auf frischer Tat erwischen und festnehmen.

Eines Tages erfuhr der Schmied, daß der Fürst eine große Jagd auf einen zwanzigjährigen Hirsch veranstaltete und eine große Jagdgesellschaft auf die Burg geladen hatte. In der Nacht vor der Jagd ging ein gewaltiges und langandauerndes, furchtbares Gewitter über den Damberg. Im niederströmenden Regen suchten die Jäger Schutz und verbargen sich so gut sie konnten. Das war die richtige Zeit für den rotbarteten Schmied. Er fand den prächtigen Hirsch und schoß ihn nieder; im furchtbaren, langhinrollenden Donnerkrachen wurde der Schuß von den Jägern nicht gehört. Am Morgen war der Hirsch nicht mehr zu sehen.

Als der Förster von den Jägern erfuhr, daß der Hirsch nicht mehr im Revier sei, sagte er in heftigem Zorn: „Das tat der rotbartete Zweckschmied!“ Alsogleich erschien im Hause des Zweckschmiedes eine gerichtliche Kommission und hielt Hausdurchsuchung, die Herren fanden aber nichts. Trotzdem wurde er in die Burg gebracht, eingesperrt, geschunden und verhört. Das konnte sich ein Fürst in der damaligen Zeit der Patrimonialherrschaft schon erlauben. Es kam aber nichts heraus, da der Schmied beharrlich leugnete. Nach einem halben Jahr war er wieder auf freien Fuß. Aus dem Arrest entlassen, begegnete er dem Oberförster, lachte ihm keck ins Gesicht und sagte: "Zwei, Herr Oberförster, müssen sein zum Erwischen - der rotbartete Zweckschmied und noch einer!" Ein paar Tage darauf schoß er dem Fürsten einen Kapitalhirsch fast vor der Nase weg.

Aber einen gab's, der stärker und mächtiger war als der Zweckschmied. Ging er wieder einmal um Mitternacht auf den Damberg. Es war nicht geheuer, um diese Zeit auf dem Damberg zu sein, wo auch, wie er schon gehört hatte, der Teufel sein Revier hat. Zwar hatte er ihn noch nie gesehen.
Wie er von der "Hirschzunge" in den Wald einbiegt, hört er auf einmal eine näselnde Stimme hinter sich sagen: "Was machst denn du da?" Der rotbartete Schmied drehte sich um und sieht einen Jäger, wie aus der Erde gewachsen, vor sich stehen, daß er fast erschreckt. Ihn überläuft es eiskalt, weil er merkt, daß der "Jäger" eine "Goaßhaxn" hat. Er stellt sich aber doch fest hin und sagt:

"Und was machst du da?" „Ich bin ein Jäger", entgegnete der Unheimliche mit näselnder Stimme. "Ich glaub's nicht", sagte der Schmied; "denn ich kenn alle Jäger weit umher." Sie kamen ins Streiten. Da packt ihn der Teufel - denn er war es - hebt ihn federleicht in die Höh', läuft wie der Wind mit ihm durch dick und dünn, daß ihm Hören und Sehen vergeht und daß er ganz zerkratzt und zertrümmert ist. Plötzlich läßt ihn der Teufel fallen, daß ihm alle Knochen knacken und sagt drohend: "Daß du mir nimmer kommst!" und ist weg.

Wie der rotbarte te Schmied zur Laurenzikapelle kommt und in die Mondlichten tritt, sieht er, wie sein Gewand zerrissen ist, seine Hände zerkratzt sind und auch sein Gesicht übel zugerichtet ist. Nun machte er sich schleunigst auf den Heimweg. Mit eingebundenem Kopf lag er einige Tage im Bett. Von da an blieb er in der Werkstatt und arbeitete fleißig. Wildern aber ist er nicht mehr gegangen.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

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