Die Bertholdi-Glocke in Garsten

Ein Federstrich des Kaisers Josef II. genügte, das eine halbe Stunde von der Stadt Steyr entfernte, große und berühmte, vom Markgrafen Ottokar gegründete Kloster Garsten nach 705 jährigem Bestand aufzulösen. Das war am 1. Mai 1787. Die vielen Mönche mußten die schöne und ihnen liebgewordene Stätte verlassen. Diese Tat des sonst so beliebten Kaisers wurde von der katholischen Bevölkerung im Tale der Enns nicht gerade freudig aufgenommen. Kostbare, in vielen Jahren gesammelte Einrichtungsstücke wurden weggebracht oder in andere Kirchen übertragen, so die schöne Orgel in die Steyrer Vorstadtpfarrkirche St. Michael. Vieles wurde verstreut und kam in unredliche Hände.

Nun wollte man auch die große Bertholdi-Glocke, die in einem der zwei mächtigen Türme hing und deren Klänge die Leute des Tales so gerne gelauscht, vom Turme herunternehmen; sie sollte fortgebracht und in eine Feuerspritze umgegossen werden.

Die Vorrichtungen zur Abnahme der Glocke waren aufgestellt, die Seile gespannt, um die schwere, vom Volk so beliebte Läuterin aus dem Glockenstuhl zu heben. Da versammelte sich die über ein solches Beginnen auf das äußerste aufgebrachte Bevölkerung vor der Kirche und schrie: "Dö Glock' ham wir herg'schafft, dö lassen ma nöt her; dö muaß drob'n bleib'n ön Turm!"

Ein Zimmermann aus Pesendorf, namens Leimpichler, ein großer, starker Mann, stand mit hocherhobener langstieliger Hacke vor den Männern, welche die Glocke herabholen wollten und sagte zornig: "Wir's no oan Ruck machts, hau i drein!" Angesichts der drohenden Haltung der Leute, wagten die dazu bestimmten Handwerker nicht, die Glocke vom Turme herunterzunehmen. Die Glocke blieb droben im Turm und ließ weiter ihr wohltönendes Geläute zur Freude der Bevölkerung in die Weite der Landschaft erklingen.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

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