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Die Geisterschlucht
In der Höhe der Hanmühle im Neustiftergraben ist eine rings von steil abfallenden Wänden und Hängen eingeschlossene Schlucht, von der aus Eingänge in zahlreiche Höhlen führen. In früheren Zeiten dürfte durch diese Schlucht einmal das Wasser des Neustiftergraben-Baches geflossen sein.
Wie eine uralte Sage erzählt, reichte ein Zwerglein des Nachts jedem Vorübergehenden, der am Tage noch nichts gebetet und sich auch nicht gewaschen hat, einen Löffel voll Grieß. Wie mag diese merkwürdige Sage entstanden sein? Sie gibt folgende Auskunft:
In längst vergangenen Zeiten stand auf einem grünen flachen Hügel ein Bauernhaus mit Namen "Frauensitz", das in alten Schriften um 1626 noch erwähnt wird. Auf diesem Bauernhause, das, besonders hin gegen das Großhager-Bauernhaus, lauter ziemlich unertragreichen Boden hatte, lebte ein Bauernehepaar, das es zu gar nichts bringen konnte, sosehr es sich auch mühte; es wollte rein gar nichts vorwärtsgehen; alles was es unternahm, versagte den beiden Leuten, und es gab ein Unglück nach dem anderen. Ratlos standen sie dem Verhängnis gegenüber.
Eines Tages, es war schon spät am Abend, saß der Bauer, von der Arbeit ermüdet, eine Weile rastend auf einem Baumstock im Hohlwege. Als er so ein wenig über seine Unglücks- und Fehlschläge sinnierte und nachdachte, was zu tun und besser zu machen wäre, hörte er auf einmal eine Stimme in seiner Nähe, sah aber niemanden, worüber er sich wunderte.
Er stand von seinem Rastsitz auf, ging den Stimmen nach und kam in eine dieser Höhlen, die, je weiter er vordrang, immer größer wurde. Er kam in ein hell erleuchtetes Felsengemach, in dem viel Zwerge waren und fleißig werkten. Und wunderbar, in dem Raum glänzte und gleißte alles von Gold und Edelsteinen. Die gutmütigen Zwerge forderten ihn auf, er solle sich von all diesen Kostbarkeiten nehmen, so viel er wolle. Freudig griff er nach dem gleißenden Golde und füllte sich damit alle Taschen. Zu essen gaben ihm die Zwerge aber nichts. Da er aber großen Hunger hatte, sein Hunger merkwürdigerweise immer größer wurde und er nichts zu essen bekommen konnte, warf er voll Zorn das eingesteckte Gold und die Edelsteine den Zwergen vor die Füße und sprach, ein Löffel voll Grieß sei ihm lieber als die ganzen schillernden und funkelnden Kostbarkeiten.
Die Zwerge, gutmütig wie sie waren, gaben ihm das Gewünschte und sagten, er habe nun sein Glück verscherzt. Sie führten den unklugen Bauern, nachdem er sieben Tage in der gold- und edelsteinfunkelnden Höhle gewesen war, ans Tageslicht. Und von da an gaben die Zwerge jedem sterblichen Menschen, der hier des Nachts vorüber kam, einen Löffel voll Grieß. Und, nachdem es dort immerzu geisterte, verlor das Bauernhaus auf der Höhe den Namen Frauensitz und bekam den Namen "Grauensitz". Als der Bauer und die Bäuerin gestorben waren, wollte niemand mehr das Haus bewohnen und im Laufe der Zeit verfiel es.
Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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