Die Kapelle im Hölleiten-Nöstltal

Noch bevor sich der bewaldete Nordabhang des 1181 Meter hohen, pyramidenförmigen Schiefersteines niedersenkt in das enge, etwas düstere, vom Hölleitenbach durchflossene Hölleitental, bildet er eine schöne, grüne, etwa 750 Meter hochgelegene Ebene, auf der sich mit Obstbäumen umsäumte Felder und Wiesen ausbreiten. Hier tönen dem Bergwanderer melodisch die Glocken der weidenden Kühe ins Ohr. Die schönen Rinder gehören zum uralten Bauernhause "Nöstltal", das neben einer grauen, zerklüfteten Felsmauer ganz am Rande der Hochebene liegt.

Unweit des Hauses stand vor zwanzig Jahren im Schutze zweier mächtiger Lindenbäume die große "Nöstltal-Kapelle". Sie war mit einem niedlichen Türmlein geschmückt, in dem sogar eine Glocke hing. Diese im Jahre 1840 von Jakob und Johanna Rotbauer erbaute Kapelle diente als Andachtsstätte für die Leute der fernab von einer Kirche gelegenen Gegend Hölleiten-Nöstltal. Der Einschichtbauer Jakob Rotbauer, insgemein Nöstltaler, hatte vor mehr als einhundertfünfzig Jahren wegen eines ziemlich großen Waldgrundstückes auf dem Hange des Schiefersteines, das die Grundherrschaf Burg Steyr widerrechtlich als ihr Eigentum betrachtete und im Besitz hatte, einen harten, schwierigen und langwierigen Prozeß zu führen. Der Nöstltaler machte das Gelübde, wenn der Prozeß für ihn einen guten Ausgang nehmen und er das ihm widerrechtlich entzogene Grundstück zurückgewinnen sollte, so wolle er in der Nähe seines Hauses eine große, schöne Kapelle mit einem Türmlein erbauen lassen. Das Glück war ihm hold, er gewann den Prozeß und bekam sein Eigentum zurück. Der Bauer führte sein Versprechen aus und ließ eine architektonisch schöne Kapelle errichten, die viele Jahre zwischen den Lindenbäumen stand und von den Leuten gerne besucht wurde. Als der alte Bauer und seine Bäuerin gestorben waren, verfiel die Kapelle und diese steht nicht mehr. Heute steht nur eine aus dem Schutt der alten Kapelle aufgebaute kleine Kapelle an ihrer Stelle.

Eine zweite Gründungssage von dieser großen türmleingeschmück­ten Kapelle, die auf der zur Gemeinde Laussa gehörenden Hochebene Nöstltal stand, wird vom Volkmunde so erzählt: Eine junge Verwandte des Bauers Nöstltaler, eine gewisse Philomena, flüchtete vor den Franzosen und verkroch sich, Zuflucht und Schutz suchend, in den alten Backofen des Bauernhauses und gebar darinnen in der Nacht ein Kind. Aus Dankbarkeit über die glückliche Geburt, ließ der Nöstltal-Bauer die Kapelle errichten. Dieser Sage nach müßte die Kapelle schon viel früher erbaut worden sein. Das von Sagen umsponnene uralte, halbverfallene Bauernhaus Nöstltal in Hölleiten war den Leuten immer etwas unheimlich; es hat da zuweilen "ang'weigt",das heißt, gegeistert.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

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