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Die Ketzer-Muttergottes
Eine halbe Stunde südwärts von Steyr steht am linken Ennsufer die große barocke, zweitürmige, ehemalige Klosterkirche, jetzt Pfarrkirche von Garsten, eine der schönsten Kirchen Österreichs. In einer der sechs Seitenkapellen dieser berühmten Kirche ist eingeschlossen in einem Glasschrein mit reichgeschnitzter vergoldeter Rokokoumrahmung, auf hohem Postamente die schöne, aus Holz geschnitzte, frühgotische Figur der "Wunderbaren Muttergottes" vom Volke auch "Ketzer-Muttergottes" genannt, zu sehen. In sitzender Stellung, die Krone auf dem Haupte, das gekrönte Jesusknäblein auf ihrem Schoß, mit der Rechten das segnende Knäblein haltend, in der Linken das Szepter, so bietet sie dem Beschauer ein Bild lieblicher Schönheit dar.
Die Legende erzählt, daß im Jahre 1565 Bilderstürmer diese Muttergottes, die damals am Ende der sogenannten "Langen Mauer" ihren Platz hatte, von dem Postament rissen, mit ihr Hohn und Spott trieben und sie unweit der Kirche flußabwärts auf einer Wiese verbrennen und zerfetzen wollten, was ihnen aber, wie die Legende erzählt, beides nicht gelang. Wütend darüber warfen die Ketzer die Statue in die Enns. Das Bildnis schwamm, wie die Legende weiter erzählt, nicht flußabwärts, sondern flußaufwärts zur heiligen Stätte, zur Kirche, wo sie von Katholiken, die die widerliche Szene mit Abscheu verfolgt hatten, herausgefischt und in die Kirche gebracht wurde.
Beide Begebenheiten sind unten am Postament, auf dem die Ketzer-Muttergottes im Glasschrein sitzt, in zwei Bildern realistisch dargestellt. In dem ersten Bilde sind vier Männer eifrig damit beschäftigt, die Statue zu verunstalten und zu verbrennen. Die Statue liegt mitten in dem rot hochauflodernden Feuer. Einer dieser Wüstlinge hält mit beiden Händen hoch erhoben eine langstielige Hacke und ist im Begriffe, dem Bildnis einen Hackenhieb zu versetzen. Die drei anderen Kerle haben Stangen in Händen und schüren damit das Feuer. Im zweiten Bilde ist eine große alte Kirche zu sehen und der Ennsfluß, in dem die Statue, wie die Legende erzählt, flußaufwärts schwimmt.
Die verbrannten und zerhackenen Stellen dieser gotischen Statue sind restauriert und später mit einem neuen Holzmantel verkleidet worden.
Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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