Die Spadenberg-Kapelle

Eine Stunde östlich vom Plattenberge in der Gebirgsgemeinde Laussa erhebt sein größerer Bruder, der 1012 Meter hohe Spadenberg sein schwarzbewaldetes Haupt. Hoch droben im Dämmer des dichten Fichtenwaldes steht eine einsame Kapelle; ein schmaler Weg, aus belebten Gegenden kommend, führt daran vorüber. Vor der Kapelle sind einige Reihen Bänke angebracht; zu beiden Seiten dieses unscheinbaren Heiligtums sind in Abständen hintereinander glattgeschälte Holzstämme in Sitzhöhe waagrecht an die Waldbäume gebunden, die als Sitzgelegenheit dienen.

Zu gewissen Zeiten des Jahres wallen, aus belebten Tälern heraufsteigend, betende Landleute, vor sich her ein wehendes rotes Fähnlein oder ein funkelndes Kreuz tragend, zur Kapelle, um bei dem schlichten Waldheiligtum ihre Andacht zu verrichten.

Sinnend stehst du vor dem alten Kapellchen und fragst dich, was die Menschen einst wohl veranlassen mochte, auf dem hohen Berge, mitten in den Voralpen, weitab von Menschensiedlungen, eine Kapelle zu errichten. Draußen auf belebten Fluren, nahe den Wohnungen der Menschen, steht manch große, schöne, kirchenähnliche, türmleingeschmückte Kapelle. Warum ziehen die Leute daran vorüber und trachten, zu dieser armseligen Kapelle zu gelangen? Wenn du auch die Leute fragst, du erfährst den Grund nicht; sie wissen keinen als den, daß auch ihre Eltern und Voreltern gläubigen Sinnes hieher gewallt sind zu "Maria, der Mutter der immerwährenden Hilfe", wie die schmucklose Kapelle genannt wird.

Ehevor die Kapelle erbaut ward, soll an derselben Stelle schon ein Heiligenbild an einem Waldbaume angebracht gewesen sein. Im Volke lebt der Glaube: Wer in Zeiten der Not, der Pest und der Kriegsgreuel zu dieser Kapelle flüchtet und die Mutter um Hilfe bittet, dem kann nichts geschehen.

Die Kapelle ist auch mit dem duftigen Gewebe der Sage umsponnen; viele der Sagen sind aber schon der Vergessenheit anheimgefallen. Vor vielen Jahren, so wird erzählt, ist die letzte Riesenschlange von einem Bauern erschlagen worden; nach einer anderen Sage soll ein herrschaftlicher Jäger sie erschossen haben. Man hat sie nach der mehr als drei Stunden entfernten Burg Steyr gebracht. Sie soll so groß gewesen sein, daß sie, ihren silberschimmernden Leib eingeringelt, einen zweiräderigen Kotkarren, wie man solche im Gebirge verwendet, ausgefüllt und noch einen Hügel gebildet hat.

Eine andere Sage berichtet, daß einst ein Jäger hier einen Wildschützen erschoß; erschreckt über seine Tat, rannte der Jäger davon. Als man den toten Wildschützen holen und beerdigen wollte, war er nicht zu finden; er war „verwunschen" worden. Bloß die Schuhe wurden gefunden; an der Stelle, wo man sie fand, wurde die Kapelle erbaut.

Quelle: Sagen und Legenden von Steyr, Franz Harrer, Verlag Wilhelm Ennsthaler, Steyr, 3. Auflage 1980,
ISBN 3-85068-004-5

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