Kaiser Karl kehrt heim

Im Dome zu Aachen steht ein Stuhl, der ist elfenbeinern und daran kann man uraltes Bildwerk erschauen. Das ist der Stuhl Kaiser Karls des Großen.

Als zu einer Zeit der starke Held auszog in das Heidenland, die Ungläubigen zum Christentum zu bekehren, schied er sich von seinem Ehgemahl und gab seiner Hausfrauen auf, seiner in Züchten zu harren zehn Jahre lang. Käme er dann nicht zurück, so wäre sein Tod gewiß. Sende er aber einstmals einen Boten mit einem Ringelein, das er ihr genauest wies, dann solle sie diesem Ritter alles vertrauen und befolgen, was er ihr durch ihn entbieten lasse.

Neun Jahre und viele Monde darüber stritt und siegte Kaiser Karl im Ungarlande gegen die Heiden. Daheim hielten sie in schon für tot. Weil das Land so lange keinen Zuchtherrn mehr hatte, erhob sich um Aachen und gegen den Rhein eitel Raub, Mord und Brand, und des Reiches Räte traten zu der Kaiserin, Karls Gemahlin, mit der dringenden Bitte, sie möge einen unter ihnen zu ihrem neuen Herrn erkiesen, damit das Reich nicht zugrunde gehe. Standhaft weigerte sich die Frau, weil ihr von ihrem Gemahl noch kein Wahrzeichen gesendet worden war, aber endlich, da die Herren und Räte allzumal heftig in sie drangen, ließ sie es zu, daß ihre Vermählung mit einem reichen König anberaumt wurde. Rasch rückte die Zeit heran, daß nur mehr drei Tage zu der Hochzeit fehlten und alle Festesvorbereitungen schon in hohem Gange waren.

Da sendete in dieser Stunde Gott der Herr einen seiner Engelsboten ins kaiserliche Lager nach dem Ungarlande, der sagte Kaiser Karl an, was sich daheim begebe, und gab ihm den herzhaften Rat:
„Rüste dich und reite heim, binnen dreien Tagen ist Hochzeit in deiner Kaiserpfalz.“ — „Wie soll ich reiten?“ fragte Karolus, „in dreien Tagen hundert Tagereisen weit und darüber?“ — „Reite und Gott wird mit dir sein!“ gab der himmlische Bote zurück. Da bestieg der Kaiser sein bestes Roß. Damit ritt er an einem Tag aus Bulgarien bis gegen Raab, am anderen Tag kam er von Raab bis nach Passau. Dort gewann er ein frisches Roß und kam am dritten Tage wirklich in Aachen vor das Burgtor. Der Herr war sichtbarlich mit ihm.

Ganz Aachen war schon erfüllt von Sang und Schall und eitel Hochzeitsglanz und -klang. Den anderen Tag sollte die Vermählung der Kaiserin sein. Die Trauung war früh im Dome angesetzt. Da ging Kaiser Karolus bei guter Zeit, da es noch Nacht war, in den Dom, setzte sich auf seinen elfenbeinernen Stuhl und legte sein großes Schwert quer über die Knie, saß allda ganz ruhig wie ein Steinbild und ruhete von seinem weiten Ritt.

Da schritt zuerst beim Morgengrauen der Mesner in den Dom, der trug die Bücher vor und schmückte die Altäre, steckte Kerzen auf und sah plötzlich auf dem Königsstuhle einen greisen Mann sitzen, in ernster Stille und mit blankem Schwert. Vor diesem Anblick kam ihm das Grauen an und er lief zu den Domherren, ihnen die schreckliche Märe zu verkünden. Die wollten die Kunde nicht glauben. Auf dem Stuhle dürfe niemand sitzen, sagten sie, er wäre denn König. Sie nahmen daher Licht und Ampel und der Kühnste unter ihnen nahte dem Stuhle unerschrocken. Als er aber den Mann darauf sitzen sah, so still und wie steinern, fiel ihm in Schrecken der Leuchter aus der Hand und zitternd floh er aus der Kirche, um dem Bischof von dem Ereignis zu sagen.

Der Bischof nahm sogleich zwei Kerzenträger der Kirche, ließ sie vorangehen mit brennenden Lichtern und folgte nach zum Kaiserstuhle. Da sah er ebenfalls den stillen Greis sitzen und hub bänglich an zu sprechen: „Sag an, wer bist du, Mann, und durch wessen Gewalt unterfängst du dich, diesen Stuhl zu besteigen? Weißt du nicht, daß dies der Sessel ist unseres Herrn und Kaisers?“ — Darauf erwiderte mit langsamen, schweren, Worten der Alte: „Wie du sprichst, so ist es. Da ich noch König Karl hieß, war ich euch allen wohlbekannt, da durfte keiner diesen Stuhl mir wehren!“ Damit erhob er sich und stand vor dem Bischof in seiner stattlichen Große, eines Kopfes Länge höher als der größte Mann, und der Bischof rief frohlockend aus: „Seid in Gott willkommen, mein königlicher Herr! Segen sei mit Eurer Wiederkunft!“ — Von selbst läuteten in dieser Stunde die Glocken, davon erschraken die Hochzeitsgäste und zogen eilend von dannen. Der Bischof trat mit schützender Hand vor die Königin und beschwor, laß sie zu dieser geplanten Hochzeit gedrungen worden sei. Gerne verzieh ihr Karolus nach diesem Zeugnis und gab ihr seine Huld zu erkennen. Er liebte sie fernerhin unabänderlich und konnte nimmer von ihr lassen.

Quelle: Im Reich der Sage; Otto Wutzel; Oberösterreichischer Landesverlag Linz;
4. Auflage 1958

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