STRASSBURGER SCHIESSEN UND ZÜRCHER BREI

Im Zeughaus zu Straßburg wird ein eherner Topf gezeigt, den hatte einstmals die Stadt Zürich voll Brei dahin geschickt. Daheim war er gekocht worden und noch warm ist er in Straßburg angekommen. Das geschah also:

Die Straßburger hielten ein großes Freischießen und luden dazu alle Nachbarstädte am Rhein ein. Aus der Rheinpfalz, aus dem Elsaß und aus der Schweiz kamen alle, die mit den Straßburgern auf gutem Fuße standen. Zahlreich waren die Scharen, die sich an dem Fest ergötzen wollten. Den weitesten Weg hatten dabei die Schützen aus Zürich; drei Tagereisen mußten sie rechnen. Damals lebte zu Zürich ein wackerer Kumpan, der hieß Hans im Weerd, und er sann auch zu diesem Festschießen ein lustiges Stücklein aus. Er sprach: „Wir wollen gen Straßburg fahren und den Wasserweg nehmen. Da brechen wir kein Rad, es fällt uns kein Roß und bei gutem Wind und mit Gottes Wille können wir die Reise in einem Tag bewerkstelligen. Zum Zeichen unserer Schnelligkeit nehmen wir einen heißen Brei mit, den wir allhier kochen lassen und noch warm den Straßburgern übergeben wollen.“ Dieser Rat fand unter den fröhlichen Schützen einen guten Beifall. Alles ward vorgerichtet und gerüstet, der Brei wurde in einer Nacht gekocht, kam in einen warmen Topf von Erz, und den Topf stellte man in einen heißen Sand. Nachdem dies geschehen war, ging es schnell zu Schiff, da die Sterne noch glänzten.

Vom Schiffe wehten lustig die Wimpel mit den Züricher Farben, weiß und blau, und munter flog der Kahn über der Limmat rasche Wellen dahin. Von der Limmat lenkten die fröhlichen Schweizer Schützen in die Aar, vorüber an mancher fährlichen Stelle, und aus der Aar in den Rhein, am Höllenhaken kühn vorbei durch Strudel und Klippen. Da das glückhafte Schiff gen Rheinfelden kam, wohin schon die Kunde von seiner Fahrt gelangt war, ward von der Ufermauer ein Korb voll edlen Weines zum Morgentrunk herabgelassen und unverweilt von den Schiffern eingenommen.

Als die Basler Glocke elf schlug, nahte in rascher Fahrt das glückhafte Schiff mit seinen Zürcher Gästen der Brücke. Herzlicher, froher Bundesgruß schallte ihm von den Basler Schützen und dem Volk entgegen, das die Uferränder säumte. Geschütze krachten zum Willkomm, aber unverweilt schoß das Schiff wie ein Pfeil weiter, getrieben von den Ruderschlägen sich stets ablösender kräftiger Ruderer. Weiter und weiter rheinabwärts ging die Fahrt, vorne am Steuer stand lugenden und sorgenden Blickes der Hans im Weerd. Mitten im Schiff aber saß Kaspar Thomann, der von den Zürchern erwählte Obmann und Sprecher beim Schützenfeste.

So ging es weiter und immer weiter, an Breisach vorbei und durch hundert und aber hundert Inseln hindurch, die im Strome hinderten.

Schon sank der Abend nieder, schon tauchte hinter der blauen Bergkette der Vogesen die Sonne unter, aber was leuchtete dort weit, weither über die unermeßliche Stromtalfläche? Eine rote Feuersäule? Im Sonnenscheidekuß flammte der Turmriese des ehrwürdigen Münsters zu Unserer Lieben Frau und der Jubel der Schiffer grüßte das ferne, schöne Ziel. Doch immer noch lagen Stunden zwischen dem Kahne und dem Ziel — der Tag schwand, die Nacht brach an, hell und rund stand der Mond am Abendhimmel, das Münster tauchte dunkel empor, und wie aus einem Geistertal drang von der Festeswiese des Volkes buntes Freudengewimmel zu den Ruderern. Jetzt begannen die Zürcher zu blasen, um ihre Ankunft anzukünden. Helle Zinken und Posaunen, Pfeifen und Drommeten setzten ein. Endlich war Straßburg erreicht. Das Schifflein legte am Guldenturme an. Unermeßlicher Jubel begrüßte die nimmermüden Stromfahrer, die das nie Dagewesene vollbracht hatten, in einem Tage die Dreitagestrecke zu durchfahren. Der Brei im Topfe war wirklich noch warm, gerade mundgerecht. Das war ein gar festliches Begrüßen. Mit Musik und Fahnen wurden die werten Zürcher Gäste auf die Ratsstube gebracht zum herzlichen Willkomm und zum frohen Mahle. Von dort brachte man die Zürcher, nachdem der Brei verzehrt war, in den „Goldenen Hirschen“ zur Rast und am anderen Tage beim Schießen wurden sie hochgeehrt von allen übrigen Gästen. Der Breitopf aber blieb aufbewahrt bis auf ewige Zeiten.

Quelle: Im Reich der Sage; Otto Wutzel; Oberösterreichischer Landesverlag Linz;
4. Auflage 1958

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