DER STOCK IM EISEN

Vor langer Zeit lebte in Wien ein Schlosserbube, der gar ein lockerer Zeisig war. Dem befahl einst sein Meister, er solle sich vors Stadttor auf das Feld begeben und Lehm fur das Gewerbe heimführen. Der Bube gehorchte rasch und willig und wollte arbeiten; aber da sah er, wie auf dem Felde viele fröhliche Knaben versammelt waren, die sich, um ihr Letzerlspiel zu beginnen, mit der ihm wohlbekannten Formel auszählten — —

Oanichi, boanichi,
siarichi, sairichi,
ripadi, bipadi
Knoll!

Das war für unseren Tunichtgut eine gar zu große Verlockung. Gleich ließ er alles liegen und stehen, gesellte sich den Knaben zu, fing mit ihnen zu spielen an, vergaß darüber seine Arbeit und vertändelte auf diese Weise die kostbare Zeit, bis es dunkel wurde und die Knaben nach Hause eilten.

Nun sah er wieder zur Arbeit und schickte sich an, damit fertig zu werden. Aber immer dunkler und dunkler wuchs die Dämmerung herauf und zuletzt ward es gar Nacht. Die Sonne war schon blutrot untergegangen und eine kohlrabenschwarze Wolkenfratze schnitt häßliche Gesichter herab auf die Erde.

Hui! Da wurde dem Buben mächtig bange. „Der ‘Tausend, wie hab‘ ich mich verspätet! Jetzt heißt es Reißaus nehmen!“ rief der Knabe, warf seine Schaufel eilig in die Scheibtruhe und fuhr zur Stadt. Wie er jedoch vors Tor kam, war‘s schon verschlossen. Da weinte er bitterlich und jammerte: „Ach, ich Unglückskind, wie werd‘ ich in die Stadt hineinkommen, da ich keinen Sperrkreuzer habe, um mir das Tor öffnen zu lassen? Ei, ich möchte schon des Teufels werden, könnte ich nur hinein!“

Kaum hatte er so vermessen geredet — siehe, da stand auf einmal neben ihm ein kleinwinziges Männlein. Das hatte ein brennrotes Wams an, ein kohlschwarzes Unterkleid und drei stolzierende Hahnenfedern auf dem Hute. „Warum weinst du, Bube?“ fragte es mit schnarrender Stimme. — Er antwortete: „Ach, hab‘ ich nicht Ursach zu weinen? Ich soll in die Stadt hinein und das Tor ist schon zugeschlossen und ich hab‘ keinen Sperrkreuzer, um mir‘s öffnen zu lassen; zu Hause bekomme ich dafür von meinem Meister Schläge.“ — „Hihihi !“ lachte das Männlein. „Nuß auf d‘ Nacht! Nuß auf d‘ Nacht! Das wäre keine üble Bescherung! Doch sei ruhig, Bub. Ich bin der — nun, man spricht nicht gerne davon; da siehst du wohl, daß ich dir helfen kann, und ich will‘s auch tun. Siehe, ich gebe dir einen Sperrkreuzer, du sollst auch keine Schläge bekommen und überdies noch durch meine Macht ein tüchtiger Schlosser werden, wenn du mir versprichst, daß du mein willst sein, so du in deinem Leben einen einzigen Sonntag unterlaßt, in die Messe zu gehen.“

„Da kann ich leicht einwilligen, er soll mich nicht erwischen!“ dachte der Bube und gab leichtfertig seine Hand zu dem teuflischen Handel. Da er nicht schreiben konnte, mußte er dem Teufel mit drei Tropfen Blut unterzeichnen und empfing dafür einen blanken neugemünzten Kreuzer. Darauf schieden sie voneinander. Der Knabe ließ sich schleunigst aufsperren und wie er nach Hause kam, trat ihm sein Meister gar freundlich entgegen, nannte ihn einen fleißigen Buben und gab ihm sattsam zu essen.

Andern Tags früh, wie Meister, Geselle und Bube schon am Feuer arbeiteten, kam das rote Männlein und bestellte für die alte Wiener Eiche einen Eisenring und ein sehr künstliches Schloß. Dies getrauten sich weder Meister noch Geselle zu verfertigen. Darüber schien das Männlein aufgebracht zu sein und rief: „Ei, was seid ihr für schändliche Fretter! Euer Lehrbursche ist geschickter wie ihr!“

„Und wenn er‘s zustande bringt“, sagte ärgerlich der Meister, „so soll er augenblicklich frei sein und Geselle werden.“ — Rasch sprach der Bube, der an dieser Arbeit durch des Teufels Macht und Hilfe keine Sonderlichkeit fand: „Meister, es gilt!“ und machte sich sogleich daran. In wenigen Stunden war das Schloß vollendet. Darauf ging er mit dem Männlein zur Wiener Eiche, umzog sie, damit sie nicht umfallen könne, mit dem Eisenringe, den er an das nahe Gemäuer befestigte, und legte dann das künstliche Schloß daran. Wie dies geschehen war, nahm das Männlein den Schlüssel zu sich und ging von dannen. Seitdem heißt diese Eiche mit dem Platz, worauf sie steht, „Der Stock im Eisen“. Der Bub aber ward Geselle.

Da er nun den Freibrief erhalten hatte, machte er sich nach damaliger Gewohnheit der Handwerksburschen auf die Wanderschaft und verdingte sich schließlich bei einem Nürnberger Schlosser. Eines Morgens sagte dieser Meister zu seinem Lehrbuben: „Du, wenn der fremde Geselle kommt, sag ihm, er solle Fenstergitter verfertigen; es sind deren so viele, daß er wohl die ganze Woche daran zu arbeiten haben wird.“ Darauf erwiderte der Bube: „Ei, der Geselle ist schon seit einer Stunde da und die Fenstergitter sind bereits alle fertig gemacht. Er möchte wissen, was er nun schmieden soll.“ Darüber war der Nürnberger höchlichst verwundert und sprach: „Potz Tausend, wenn der so geschwind ist, wo soll ich genug Arbeit für ihn hernehmen? Da mag er den eisernen Amboß zu Gitterwerk strecken!“ — Kaum hörte dies der Geselle, so warf er im Nu, daß es gischte und zischte, den Amboß tatsächlich in das Feuer und streckte ihn meisterlich zu feinstem Gitterwerk. Der Nürnberger Schlosser erschrak darüber so, daß er ihn auf der Stelle entließ. Unser Geselle ließ sich‘s aber nicht verdrießen und wanderte nach Wien zurück.

Gleich bei seiner Ankunft hörte er reden, wie sehr es die Obrigkeit ärgere, daß ein unbekannter Mann den Schlüssel zum Schlosse der Wiener Eiche habe, und wie sie versprochen, den zum Meister zu erheben, der zu diesem künstlichen Schlosse das Schlüsselein fertigen könne. Da war unser Geselle gleich auf der Höhe und trug sich an, einen solchen zu schmieden. Dem roten Männlein war aber nicht damit gedient und es setzte sich deshalb, wie der Schlosser den Schlüssel schweißte, unsichtbar ins Feuer und verdrehte ihm den Schlüssel- bart. Der Junge bemerkte sogleich den Schabernack, schob gar pfiffig den Schlüssel mit verkehrt angesetztem Bärte in den Ofen hinein, und weil das Männlein vor Wut und Ärger blind war, drehte es ihn wieder um, so daß er recht angesetzt aus dem Feuer kam. Hierauf ging er mit der Obrigkeit zur Eiche und öffnete das Schloß, wofür man ihm auch das Bürger- und Meisterrecht verlieh. Dies stimmte ihn so lustig, daß er hellauf juchzte: „Juchhe! Wieder ein neuer Meister!“ Dann schlug er einen großen Nagel in die Eiche zum ewigen Andenken und warf den Schlüssel in die Höhe. Dieser fiel aber nicht wieder zur Erde herab.

Von nun an verbreitete sich der Ruf seiner Geschicklichkeit aller Orten und er lebte viele Jahre schon in Glück und Reichtum, doch vergaß er nie Gott und betete alle Sonntage fleißig in der Kirche, hörte andachtsvoll die heilige Messe und bereute jetzt oft ernstlich die Vermessenheit seiner Jugend. Aber der böse Feind, der sich seiner schon einmal bemeistert hatte, ließ nicht mehr ab von ihm, unterdrückte nur zu bald wieder sein reuiges Gemüt und betäubte sein Gewissen mit Saus und Braus und Wohlleben.

So saß er eines Sonntagsmorgens im Weinkeller „Zum steinernen Kleeblatte“ unter den Tuchlauben mit seinen Kameraden, zechte und war fröhlicher Dinge voll. Da schlug es zehn. — „Ei, nun muß ich in die Kirche gehen“, sprach der Schlosser und erhob sich vom Stuhle. — „Nicht doch“, riefen die anderen, „hast noch zwei Stunden Zeit, laß uns noch trinken und würfeln!“ Und man trank und spielte. Da schlug die Uhr elf. — „Ei, nun muß ich aber wirklich in die Kirche eilen“, sagte, sich erhebend, der Meister. — „Nicht doch“, lärmten neuerdings die anderen, „hast noch eine Stunde Zeit; bis dahin laß uns fröhlich zechen und würfeln.“ Abermals tranken die Kumpane mit ihm weiter. — Da schlug es zwölf! Käseweiß stürzte jetzt der Schlosser der nahen St.-Stephanskirche zu. 0 weh, da war es wie ausgekehrt! Ein einziges altes Mütterlein sah er gehen, die fragte er: „Um Gott, liebe Frau, ist die letzte Messe schon aus?“ — „Letzte Messe? Es ist ja schon eins vorbei!“ erwiderte die betrügerische Hexe, obwohl es erst zwölf war. — „0, du mein himmlischer Vater, so hab‘ ich meine Seele verloren!“ jammerte der Schlosser, stürzte verzweifelnd in den Weinkeller zurück, riß seine silbernen Knöpfe vom Rocke und schenkte sie.seinen Kameraden zum warnenden Angedenken. Indessen schlug es wirklich zwolf und mit dem letzten Streich stand das Männlein oben bei dem Eingange und rief hinab: „Du, versäume die Messe nicht! Hörst du zwölfe läuten?“ Da stieg der Schlosser wie wahnsinnig hinauf und das Männlein war größer denn je. Sie gingen mitsammen. Wie sie zum Stephansfreithof kamen, schritt neben ihm ein blutroter Riese — und wie sie zur Kirchenpforte kamen, sagte der Priester am Altare „Die Messe ist geendet“ — Da hatte der blutrote Riese kohlschwarze Hörner und Greifenklauen, faßte damit grimmig den Schlosser und flog mit ihm in die heulenden Lüfte.

Abends fand man den zerfleischten Korper am Rabensteine liegen und das alte Mutterlein ging vorbei und sprach:

Ja, ja! Vorgetan und nachbedacht,
Hat manchen großes Leid gebracht.

Quelle: Im Reich der Sage; Otto Wutzel; Oberösterreichischer Landesverlag Linz;
4. Auflage 1958

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