THEOPHRASTUS PARACELSUS UND DER TEUFEL

Als der Dr. Paracelsus noch in Innsbruck studierte, ging er eines Sonntagsmorgens im Walde spazieren. Plötzlich hörte er rufen, sah aber niemand, obgleich die Stimme nicht weit entfernt sein konnte. — „Wer ruft da?“ — „Ich“, antwortete ein Irgendwer, „erlöse mich aus dieser Tanne, in die ich unbarmherzig eingeschlossen bin.“ — „Wer ist der Ich?“ — „Man nennt mich mit Unrecht den Bösen, wie du dich überzeugen wirst, wenn du mich befreist.“ — „Wie kann ich das?“ — „Schau nur rechts an dem Stamm der alten Tanne hinauf, so gewahrst du ein rundes Zäpflein mit drei Kreuzen, dahinter bin ich von einem Geisterbanner eingezwängt worden, ich kann‘s von innen nicht aufstoßen.“ — „Was gibst du mir zum Lohne, wenn ich‘s herausziehe?“ — „Was verlangst du?“ — „Erstens eine Arznei, mit der ich alle Krankheiten heilen kann; zweitens eine Tinktur, womit ich alles, was ich will, in Gold verwandeln kann. Wer steht mir aber dafür, daß du Wort hältst?“ — „Ich, so wahr ich der Teufel bin.“ — „Gut, ich befreie dich, wenn ich das Zäpflein herausbringe.“ —

Also nahm er sein Federmesser aus der Tasche, faßte damit das Zäpflein, das ein wenig hervorstand, und brachte es nach vieler Mühe heraus, trat dann einen Schritt zurück, die Augen auf das Löchlein geheftet, und sah eine schwarze Spinne hervorkrabbeln, die am Stamm entlang hinunter ins Moos lief. Auf einmal richtete sich, wie aus der Erde gewachsen, ein hagerer Mann auf dessen roter Mantel die Hahnenfüße schlecht verbarg. „Komm mit mir“, rief der Teufel grinsend, denn niemand anderer war es, brach sich im Gebüsch eine Haselrute, schlug damit an den nächsten Felsen, der über die hohen Tannen emporragte, und sprach: „Warte, ich bin gleich wieder da“; bei diesen Worten schlug er abermals mit der Rute an den Stein. Der Felsen spaltete sich darauf in zwei Hälften und der Teufel verschwand in der geheimnisvollen Kluft, kam aber sogleich wieder aus dem Dunkel zurück, in jeder Hand ein Gläschen haltend, oben zugebunden wie Arzneigläser.

„Das Gelbe da“, sprach er, „ist die Goldtinktur, das Weiße die Medizin.“ Dann setzte er hinzu: „Gehst du mit nach Innsbruck? Ich hole dort den Geisterbanner, der gewiß nicht denkt, daß ich frei und ledig bin.“ Der Doktor empfand Mitleid mit dem Geisterbanner und dachte, wie er ihn doch erretten könnte. Eine Warnung war schon unmöglich, außerdem wußte er nicht, wie er hieß und wo er wohnte. Auch wäre der Teufel schneller mit seinen Beinen gewesen wie er. Plötzlich kam ihm der gute Gedanke, auf die Eitelkeit des Teufels zu spekulieren. Als beide sich wieder der Tanne näherten, worin der Teufel gesteckt hatte, fing er an: „Der Geisterbanner muß doch ein mächtiger Mann gewesen sein, da er imstande war, dich in ein so kleines Löchlein in den Baum hineinzuzwängen. Aus freiem Willen konntest du wohl schwerlich deinen Körper so zusammenziehen, daß eine Spinne aus dir wird.“

Rasch kam die Antwort „Dem Teufel ist vieles möglich, was ihr winzigen Erdenwürmer nicht begreift. Was gilt‘s, ich mache mich aus eigener Zauberkraft wieder zur Spinne und krieche vor deinen Augen in das Löchlein hinein“ — „Ich begreif‘s eben nicht, aber sehen möcht ich‘s, ich gäbe gleich meine zwei Fläschchen für das Kunststück her.“ — „So schau!“ rief der eitle Teufel und verschwand. Gleich darauf krabbelte er als haßliche Spinne am Boden, wie zuvor, lief am Stamm der Tanne hinauf und kroch in die alte Öffnung. Blitzschnell hinter ihm drein kam das Zäpflein, von Paracelsus mit Kraft nachgedrückt. Dann schlug der Doktor mit einem Steine das Zäpflein immer tiefer in das Holz und kritzelte mit seinem Messer drei frische Kreuze darüber. Darauf rannte er aus dem Walde, was er laufen konnte, und als er in die sonnigen Wiesen hinaustrat, sprach er keuchend zu sich selbst: „Jetzt will ich sehen, ob der Teufel mich vielleicht ebenfalls angeführt hat.“ Er öffnete das gelbe Fläschchen und ließ daraus ein Tröpflein fallen. Siehe da, es ward wirklich immer schwerer in seiner Hand, wurde schließlich an der Luft zu reinem Golde. Freudig erstaunt machte der Doktor das Fläschchen sogleich wieder zu. „Das eine ist in Ordnung“, sprach er befriedigt, „das andere will ich an dem kranken Gemsenjäger unten in der Hütte erproben.“ Und tatsächlich, die Arznei erwies sich als ein Wunder, wie das Goldfläschchen eins war. Sie half dem Kranken allsogleich aus dem Bette. —

Der Teufel aber steckt noch immer in der Tanne und hat keine Hoffnung auf eine Befreiung; denn der Wald darf wegen der Schnee- lawinen nicht abgeholzt werden. Paracelsus ist von dem Tag des Abenteuers an der berühmteste Doktor in der ganzen Welt geworden und hat Reiche und Arme gesund gemacht.

Quelle: Im Reich der Sage; Otto Wutzel; Oberösterreichischer Landesverlag Linz;
4. Auflage 1958

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