Der Ursprung von Lavant

Da, wo jetzt das Auge des Wanderers mit staunendem Entzücken auf reichgesegnete Fluren blickt, dehnte sich vor vielen, vielen Jahren ein weiter See. Die waldigen Höhen, die ihn rings umgaben, wurden von drei Burgen gekrönt. Deren Erbauer waren drei Brüder, die im traulichsten Verkehre mitsammen lebten. Hartneidstein hieß die östliche Burg, Reißberg jene im Westen; die südliche wurde Rabenstein genannt. Lag auch der See zwischen den Vesten der ritterlichen Brüder, so besuchten sie doch häufig einander auf rasch dahin geleitendem Kahne. Bald wurde der Wolf aufgejagt, der in den waldigen Gründen hauste, an deren Stelle das heutige Wolfsberg steht; bald warfen die Brüder das Netz aus, um schmackhafte Fische für die Tafel zu fangen. Und wie die Brüder treue Liebe vereinte, so flocht sich dasselbe Band um ihre Frauen und Kinder. Mit Jubel bestiegen die Kinder der einen Burg den Kahn und sahen die andern ihn landen; wartete ihrer doch stets dann ein Tag mit fröhlichem Spiel in ungebundener Lust.

Da kam ein Tag, der schweres Leid über die drei Familien bringen sollte. Ein herrlicher Morgen war angebrochen, in Duft gehüllt lagen Berg und Flur. Sinnend stand der Reißberger am Fenster seiner Veste und ließ sein Auge über den See schweifen, bis es auf Hartneidstein ruhen blieb. Es zog ihn hin zum Bruder, mit diesem und den Seinen den schönen Tag zu verleben. Doch nicht wie sonst stimmte die Gattin freundlich ein in den Vorschlag ihres ritterlichen Lebensgefährten. Schlimme Ahnungen hatten die Träume der jüngsten Nacht in ihr geweckt; auch häusliche Geschäfte hinderten die Fahrt. Lächelnd hörte der Reißberger die Befürchtungen der Gattin, gestattete ihr jedoch zu bleiben, wenn Arbeit ans Haus sie feßle, und riet ihr, die Träume zu vergessen. Damit nahm er das jubelnde Söhnlein an die Hand, und bald glitt der Kahn über die glänzende Fläche.

Rasch verging in Hartneidstein die Zeit. Die Sonne stand bereits, gegen die Berge gesenkt, zwischen Mittag und Abend, als der Reißberger der Heimkehr gedachte. Doch mit Schrecken sahen er und die Verwandten den dunkelvioletten Himmel, der Gewitter und Sturm verkündete, und die krächzend tief am Boden fliegenden Vögel. Der Hartneidsteiner bat den Bruder, zu bleiben und die Fahrt im Sturme nicht zu wagen. Der aber wehrte ab; „das Gewitter bleibt so lange wohl aus,“ meinte er, „und die Gattin würde bangen, kehrte ich heute nicht heim.“ Alles Zureden der Verwandten war vergebens, der Ritter nahm den Knaben und bestieg das Schifflein zur eiligen Fahrt. Doch ehe er die rettende Lände erreicht, erfaßte ein Wirbel das schwankende Fahrzeug, der Vater umschlang das geliebte Söhnlein mit den Armen – dann sanken sie vereint in die schäumende Flut.

In bitterer Angst verging den Hartneidsteinern die Nacht; banger Zweifel, ob der Ritter mit dem Knaben heil angekommen, quälte sie. Die Burgfrau auf Reißberg aber lag flehend auf den Knien; ein herrliches Gotteshaus gelobte sie zu erbauen, wenn ihre Arme den Gatten und Sohn wieder gesund umschlängen. Hoffte sie ja, daß die Teuern geborgen in Hartneidstein ruhten. Kaum graute der Morgen, so sah ihr angstvoll spähendes Auge ein Schifflein von Hartneidstein gen Reißberg rudern. Bald trat ein Diener vor sie, gesendet von dem besorgten Hartneidsteiner, zu fragen, ob der Ritter und der kleine Neffe gestern wohl glücklich gelandet. Bewußtlos stürzte die unglückliche Frau bei dieser entsetzlichen Frage zu Boden, und der Bote kehrte zurück, die Trauerkunde zu bringen. Was Kahn oder Fähre besaß, war im Nu auf dem See, und Haken und Netze wurden ausgeworfen, um die Leichen zu finden. Doch leer bleiben Angel und Netz, oder nur Fische waren die diesmal unerwünschte Beute. Drei Tage waren so vergangen in vergeblichem Suchen, da erhob die Witwe mit flehender Bitte die Stimme und erneuerte das Gelöbnis jener Nacht.

Kaum war das fromme Gelübde ausgesprochen, da durchzuckte es die Edelfrau wie höhere Eingebung und sie rief: „Wozu suchen wir weiter vergebens im See, dessen Wellen uns ewig die Teuern verbergen? Leiten wir ihn ab, und in getrocknetem Grunde finden wir sicher, was bis jetzt zu finden uns nicht gegönnt. Sicher hat der von Norden stürmende Wind die Lieben nach Süden geweht; seicht ist dort der Grund, und er birgt sie, in weichen Sand gebettet. Durchstechen wir den Grund, der jetzt den Abfluß wehrt!“

Klug schien das Wort und rasch folgte die Tat. Auf der entblößten Sandbank, die mit ihrem getürmten Wall sie vor den wegschwemmenden Wellen verschont, lagen zärtlich verschlungen Vater und Sohn.

Als die Witwe die Teuern sah, gelobte sie, die Stätte, an der sie dieselben gefunden, nie mehr zu verlassen. Bald entstand dort ein Kirchlein und ein Haus, ihre und des Priesters Wohnung. So bleib sie doch den Leichen jener nah, mit denen sie ein glückliches Leben zu teilen gehofft.

Dort aber , wo einst das Kirchlein gestanden, erhob sich bald ein gottgeweihtes Haus, fromme Männer lebten daselbst und noch heute begrüßen wir in dem Benediktinerstifte St. Paul die Nachfolger jeder ersten Siedler.

Quelle: Kärntner Sagen; Franz Pehr; Verlag von Joh. Heyn in Klagenfurt; 1913

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