Das Lösegeld des Gnomen

In jenem Lande, welches zu der alten Römer Zeiten Norikum genannt war, befand sich in grauer Vorzeit zwischen hohen Bergen ein großer tiefer See. Die Berge aber waren, so wie jetzt, auch dazumal schon reich an Eisen. Darum hatten die Menschen die Erde aufgewühlt und waren in ihre Eingeweide gedrungen, um die Schätze zu holen, die darin ruhten. Doch dies ging damals nicht so leicht als in unsern Zeiten; denn dazumal hausten in den Tiefen der Erzgruben noch Gnomen und Bergmännlein mit übermenschlicher, unbezwungener Macht. Diese lebten in beständigem Kampfe mit den mutigen Gebirsbewohnern, die sich die Schätze des unterirdischen Reiches holen wollten, und wehrten ihnen auf jede Weise den Eingang in die Berge. Viele, viele Gruben gab es rund um den See, und auf den anliegenden Bergen wohnten nur Jäger und Bergleute.

Da geschah es wieder einmal, daß Bergleute, die in einer Grube arbeiteten, von den Berggeistern überfallen wurden. Jene wollten aber nicht weichen, und es entspann sich ein Kampf. Mit übernatürlichen Kräften gelang es den Gnomen, die mutigen Knappen zu vertreiben, doch nicht eher, als bis diese einen Gefangenen gemacht hatten. Die Grube blieb den Knappen verloren, der Kobold aber in ihren Händen. Er wurde sicher verwahrt; und lange Zeit hatten die Bergleute Ruhe vor den Geistern der Tiefe, die sich fürchteten, den Zorn jener zu erregen, in deren Gewahrsam einer der ihrigen schmachtete. Doch dieser sehnte sich zurück nach den wunderbar verschlungenen Gängen und Klüften seiner unterirdischen Heimat und bat die Knappen gar oft, sie möchten ihn ziehen lassen. Gerne wollte er sich mit Erz auslösen und ihnen einen Teil seines Reiches abtreten; denn er war ein gewaltiger Berggeist, einer der Gnomenfürsten. Aber vergebens war sein Bitten! Er lag gefangen dreißig Jahre und darüber.

Da kamen denn allgemach andere Knappen an die Stelle jener, die ihn gefangen, und von neuem fing der Gnome an, um seine Freiheit zu flehen; er versprach ihnen ein fruchtbar Land, so groß wie der See, der an die Berge schlug, auf denen sie wohnten. Er schwur es ihnen zu, und sie waren es zufrieden und entließen ihn der Haft im Vertrauen auf sei Wort.

Der Gnome säumte nicht lange, sein Wort zu erfüllen. Bald bemerkten die Knappen auf der Oberfläche des Sees verschiedene Wirbel und das Wasser wurde weniger von Tag zu Tag, bis sich endlich der See in unterirdische Höhlen verlief, in welche ihm die Gnomen den Ausweg geöffnet hatten.

Ein schönes Tal blieb zurück, von den alten Bergen umkränzt und von einem klaren Flusse durchströmt. Die Knappen aber nahmen Besitz von dem Tale und bebauten es sorglich, denn es war der fruchtbarsten eines im Lande. Später aber erhoben sich auf den Anhöhen umher Burgen und Städte blühten empor in der Ebene; am südlichen Ende des Tales aber entstand ein großes und schönes Stift, welches bis auf den heutigen Tag besteht und St. Paul genannt wird.

Das Tal aber, welches der Gnome seinen Befreiern geschenkt, ist das „Paradies Kärntens“, das schöne Lavanttal.

Quelle: Kärntner Sagen; Franz Pehr; Verlag von Joh. Heyn in Klagenfurt; 1913

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