Der Rattenturm auf dem Haussteinfelsen

Viel gefährlicher als der Greiner Strudel war ehedem der Wirbel, eine tosende und schäumende Brandung unterhalb des Hößganges bei Neustadt!. Dieses Wildwasser entstand beim Haussteinfelsen, an dem viele Schiffer ihr kühles Grab fanden. Der letzte Unfall stieß am 24. April 1854 dem Dampfer "Franz Josef" zu, auf dem die Prinzessin Elisabeth als kaiserliche Braut nach Wien fahren wollte. Durch den Anprall an eine scichtgelegene FeIsspitze erhielt der Dampfer beim Steuer ein Leck, durch das in den Hinterraum in großen Mengen das Wasser einströmte. Der Kapitän ließ das Schiff unterhalb des Haussteines auf eine Sandbank laufen und verhütete so ein größeres Unglück. Daraufhin ließ Kaiser Franz Josef die Haussteininsel sprengen. Der alte Steinmetz Neu aus Neustadtl war bei den Sprengungen des Haussteinfelsens tätig. Vater Neu erzählte seinerzeit gerne die Sage von der Entstehung des Rattentunnes auf dem Haussteinfelsen:

Der Burgherr von Werfenstein, ein wegen seines Geizes berüchtigter Raubritter, wollte einmal zu Wintersanfang sein Gesinde grausam vennindem. Hatte er auch im Sommer und Herbst jeden Ann auf seinen ausgedehnten Feldern brauchen können, so betrachtete er seine Knechte und Mägde nach der Ernte als unnütze Mitesser. Deshalb lud er alle zu einem Ernteschmaus in die große Scheune von Werfenstein. Er machte sein Gesinde sinnlos betrunken, ließ sodann alle Fenster und Türen verrammeln und die Scheune in Brand stecken. Als die den Flammen Preisgegebenen in ihrer Todesangst gellend um Hilfe schrien, höhnte der Schloßherr vor seinen Gästen: "Hört ihr meine Ratten und Mäuse winseln?"

Doch nicht lange sollte der Unhold sich der auf so schändliche Art ersparten Lebensmittel erfreuen. Eine Unzahl von Ratten und Mäusen war plötzlich in Werfenstein aufgetaucht, fraß Keller und Vorratskammern leer, zernagte Betten, Kleider und Möbel. Um der Plage zu entrinnen, erbaute der Werfensteiner Ritter auf dem damals in der Mitte der Donau befindlichen Haussteinfelsen einen rechteckigen Turm. Hier wähnte er sich vor seinen Peinigern gesichert. Doch kaum war er eingezogen, da waren auch wieder unzählige Ratten trotz des Stromes und der klafterdicken Mauem in den Turm ge~ drungen und fraßen ihm Hab und Gut, ja sie fraßen ihn und die Seinen bei lebendigem Leibe auf, und so mußte die ganze Familie elendiglich verkommen. Das Werfensteiner Schloß verfiel, der Rattentunn verschwand mit der Sprengung endgültig in den Fluten der Donau. (Adl.)

Quelle: Sagen aus dem Mostviertel, Band II; gesammelt von der Lehrerarbeitsgemeinschaft des Bezirkes Amstetten; Herausgegeben von Ferdinand Adl, Amstetten 1952

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