Die Sage vom Gaisbergmännlein
Vor vielen Jahren breiteten sich dort, wo heute die Felder und Obstgärten des oberen Gaisbergbauern liegen, weite grüne Wiesen aus. Hier wohnte ein armer Köhler. Tag für Tag kam er rußig und müde von seiner Arbeit heim. In seiner Hütte wohnten mit ihm seine Frau und seine neun Kinder.
Eines Tages klopfte es an der Tür der Köhlerhütte. Als der Gaisberger, so nannten alle den Köhler, öffnete, trat ein müder Wanderer ein. Er ging ganz gebückt und trug armselige Kleider. „Grüß Gott“, sagte er. „Ich tät halt recht schön bitten um ein Schüppel Heu, auf dem ich die Nacht über schlafen kann.“ Die Gaisbergerin brachte für ihn auch eine Schüssel mit heißer Milch und ein großes Stück Brot. „Mehr haben wir nicht“, sagte sie, „wir sind arme Leute.“ Nach dem Essen bereitete die Köhlerin ein Nachtlager aus Heu und Decken für den Gast.
Am nächsten Morgen bedankte sich der Fremde. Dann schritt er bergan. Er trug einen großen Buckelkorb und hielt eine Rute in der Hand. Der Köhler meinte, daß es wohl ein Wurzelgräber oder ein Schwammerisucher sei, und begab sich wieder an seine Arbeit.
Von nun an kam der Alte öfter zu den Köhlerleuten. Sie nannten ihn das Gaisbergmännlein. Am Morgen ging es immer den Berg hinan. Wenn ihm der Gaisberger aber nachblickte, war es jedesmal plötzlich verschwunden. Der Köhler konnte sich nicht erklären, wohin das Männlein gekommen war.
Einmal mußte der Gaisberger nach Linz fahren. Er riß die Augen weit auf, um nichts zu übersehen, weil er noch nie in der Stadt gewesen war. Wie erschrak er, als ihn aus einem wunderschönen Haus ein vornehmer Mann anrief: „He, Gaisberger, tritt ein bei mir und sei mein Gast!“ Der Köhler staunte über die Pracht und Herrlichkeit in den Räumen des Stadthauses. Noch nie hatte er so etwas Schönes gesehen.
„Gaisberger“ sagte der Stadtherr, „ich bin der Wanderer, den ihr das Gaisbergmannlein nennt. Weil du mich immer so freundlich aufgenommen hast, will ich mich heute bei dir bedanken.“ Ein Diener brachte gutes Essen und feinen Wein.
Zum Abschied schenkte der reiche Mann dem armen Köhler jene Rute, die er immer bei sich getragen hatte, wenn er auf den Gaisberg gekommen war. Er sagte: „Auch du sollst nicht mehr arm sein. Wenn du wieder daheim bist, dann nimm die Rute und geh zu dem Felsen hinter dem großen Buchenwald. Dort findest du eine Tür. An diese schlägst du dreimal. Sie wird sich auftun, und du wirst viele Schätze sehen. Du kannst mitnehmen, soviel du in deinem Buckelkorb tragen kannst.“
Der Gaisberger zog glücklich heim und eilte gleich hinter den Buchenwald zu dem Felsen. Und wirklich fand er alles so, wie es das Gaisbergmännlein erzählt hatte. Berge von Gold lagen in der Höhle. Edelsteine glänzten und Perlen schimmerten an den Wänden. Der Gaisberger faßte mit beiden Händen in diese Herrlichkeit, füllte seinen Buckelkorb an und stopfte seine Taschen voll. Er war überglücklich und lief heimzu, so schnell er konnte. Zu Hause wurde ihm bewußt, daß er im Berg die Rute vergessen hatte. Aber er brauchte sie nicht mehr. Er war klug und hat mit dem Geld gut gewirtschaftet.
Er ließ ein mächtiges Bauernhaus mit einem Stall bauen. Dann kaufte er Pferde und Kühe und pflanzte auf den Wiesen junge Bäume. Aus dem armen Köhler war so der wohlhabende Gaisbergbauer geworden.
Quelle: Heimatkundliches Lesebuch, Bezirk Kirchdorf an der Krems
Herausgegeben von einer Arbeitsgemeinschaft des Pädagogischen Institutes des Bundes für Oberösterreich, Verlag Quirin Haslinger, Linz
ISBN keine
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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