Die Sage von der Schutzmantelmadonna in Frauenstein
Vor fast fünfhundert Jahren war Kaiser Maximilian I. mit dem tirolischen Ritter Florian Waldauf an der Küste Hollands in große Seenot geraten. Undurchdringlicher Nebel hüllte das Schiff ein, und die Seeleute hatten schon längst die Richtung verloren. Alle waren ganz verzweifelt. Fuhren sie vielleicht, ohne es zu wissen, auf das stürmische Meer hinaus? In dieser Not tat der Kaiser ein feierliches Gelübde. „Maria“, rief er, „nimm uns unter deinen Schutzmantel! Ich will dir zum Dank das herrlichste Bildnis stiften!“
Plötzlich erschien über dem Bug des Schiffes das Bild der Muttergottes. Sie hielt das Kind im Schoß, und Engel breiteten den weiten Mantel der Himmeiskönigin um die Menschen auf dem Schiff. Kaum war die Erscheinung verschwunden, hörte der Kaiser Freudenschreie der Matrosen. Der Nebel zerteilte sich, Sonnenstrahlen fielen auf das Schiff, und in der Ferne sah man einen schmalen dunklen Streifen auf dem Wasser. Land! Land!
Sieben Jahre waren seither vergangen. Noch immer hatte Maximilian sein Gelübde nicht erfüllt. Er wußte zwar schon lange, wo das Bildnis aufgestellt werden sollte, nämlich in der Kirche von Frauenstein im Steyrtai. Aber er hatte bisher keinen Meister gefunden, dem er den Auftrag für das Kunstwerk hätte geben können.
Eines Tages jedoch, als Maximilian in der deutschen Stadt Augsburg weilte, meldete sich bei ihm Meister Gregor. Er zeigte ihm die Zeichnung einer Schutzmantelmadonna. Als der Kaiser das Bild sah, rief er erregt aus: „0 Gott! Das ist das Bild der Muttergottes, wie es mir damals in höchster Not erschienen ist!“ Er beauftragte Meister Gregor Erhart, nach dieser Zeichnung das Bild der Schutzmantelmadonna zu schnitzen.
Zwei Jahre vergingen, bis der Kaiser wieder nach Augsburg kam. Sein erster Weg führte ihn durch die engen Gassen der Stadt zu Gregor Erharts Werkstatt am Kitzmarkt. Der Meister geleitete Maximilian in den schönsten Raum seines Hauses. Hier sah der Kaiser zum ersten Male das wunderbar geschnitzte Standbild der Schutzmantelmadonna: Die Muttergottes mit dem Kinde auf dem Schoß und zwei Engel breiten ihren Mantel aus. Unter ihm suchen beiderseits je drei Gestalten Schutz: links ein Fürst, ein Ritter und ein Bürger, rechts deren Frauen. Der Fürst soll Kaiser Maximilian, der Ritter Florian Waldauf und der Bürger den Bildschnitzer selbst darstellen.
Reichlich entlohnte der Kaiser Meister Gregor Erhart für das prächtige Werk und ließ die Schutzmantelmadonna nach Frauenstein bringen, wie er es seit langem vorgehabt hatte.
Hier können wir sie heute noch bewundern. Sie hat durch die Jahrhunderte von ihrer einstigen Schönheit nichts verloren.
Quelle: Heimatkundliches Lesebuch, Bezirk Kirchdorf an der Krems
Herausgegeben von einer Arbeitsgemeinschaft des Pädagogischen Institutes des Bundes für Oberösterreich, Verlag Quirin Haslinger, Linz
ISBN keine
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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