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Der stumme Büßer zu Ossiach
Es war an einem stürmischen Herbstabende des Jahres 1090, als ein Pilger an die Pforten des Klosters zu Ossiach in Kärnten pochte. Der Pförtner öffnete und fragte den Pilger nach seinem Begehr. Mittels Zeichen bat dieser um Einlaß, und die nach dem Munde zeigenden Finger deuteten, daß der Fremdling stumm sei. Der Pförtner leiß den Gast eintreten, man reichte ihm ein Abendbrot und wies ihm ein Nachtlager an. Als man aber morgens erwartete, der Fremdling werde seinen Wanderstab weitersetzen, flehte er den Abt mit Gebärden an, im Kloster bleiben zu dürfen. Zögernd willigte Herr Teucho ein; doch nur zu den Diensten eines Gartenknechtes konnte er den Stummen verwenden. Willig fügte sich dieser in seine armselige Stellung und verblieb neun Jahre in derselben; willig, fleißig und bescheiden wie wenige, erwarb sich der stumme Knecht die Zuneigung aller. Da geschah es, daß er am Ende des neunten Jahres schwer erkrankte und fühlte, daß sein Ende nahe bevorstehe. Nun öffneten sich die lange verschlossenen Lippen des Sterbenden und er enthüllte den versammelten Mönchen das Rätsel seines Standes, seiner Herkunft. Der stumme Knecht war Boleslaw II., der Polenkönig, der sich als Herzog Boleslaw vom Deutschen Reich zur Zeit Heinrich IV. unabhängig gemacht und von seinen Bischöfen hatte krönen lassen. Gegen seinen leichtfertigen Lebenswandel erhob sich bald mit kühnem Freimut Bischof Stanislaus von Krakau, der, als sich sein roher und ausschweifender Fürst nicht bessern wollte, ihn aus der Gemeinschaft der Kirche ausschloß. Von des Bischofs Kühnheit gereizt, sandte Boleslaw Söldlinge aus, den frommen Mann in der Kirche zu ermorden. Doch diese wagten es nicht, den schlimmen Auftrag auszuführen, und so brach der König selbst mit einigen Begleitern in die Kirche ein und erschlug den Priester am Altare. Jetzt jagten die Großen den Tyrannen aus dem Lande und er fand keine Stätte, um sein müden Haupt zur Ruhe zu legen. Von Gram und Reue gepeinigt, beschloß er, nach Rom zu ziehen, dort sein Gewissen zu entlasten und Aufhebung des Kirchenbannes zu erflehen. Auf dem Wege dahin erreichte er Ossiach, dessen Weltabgeschiedenheit ich ihm den Vorsatz erzeugte, hier als stummer Büßer sein Leben zu beschließen. Und jahrelang hielt er getreu diesen Entschluß, bis er das Geheimnis am Sterbebette enthüllte und den gerührten und erstaunten Mönchen die Geschichte seines Frevels und seiner Sühne erzählte. Als Beweis der Wahrheit übergab der König dem Abt seinen Siegelring mit dem königlichen Wappen.
Die Mönche ehrten das Andenken des stummen Büßers, wie sie ihn fortan nannten, dadurch, daß sie seitdem Taubstumme in ihre Obsorge nahmen und ihnen durch Zeichensprache Unterricht geben.
Rappold
Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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