Die Gedenksäule bei Wiener-Neustadt

Vor mehreren hundert Jahren fuhr der Bürgermeister von Neustadt, ein reicher Fleischhauer, „ins Gäu“ und nahm einen armen, lahmen Mann, der des Weges einherzog, auf den Wagen. Es war an der Stelle, wo jetzt die Säule steht. Der Anblick eines Richtplatzes und der Leichname der dort aufgeknüpften Verbrecher brachte den Bürgermeister auf die Frage, wie wohl einem armen Sünder auf dem letzten Wege zumute sein möge? Da erwiderte der lahme Gast mit hämischem Lächeln: „Das kann der Herr Fleischhauer mit Zeit und Rat wohl auch selbst erfahren.“ Als aber der Bürgermeister darüber heftig auffuhr, ward jener ganz demütig, so daß sich der Beleidigte besänftigte, ja sogar den Lahmen, der voll Schnurren und Schwänke war, zwei Tage lang bei sich behielt, ihn in allen Herbergen bewirtete und daher sehr erstaunte, als einmal der lustige Gesell plötzlich aus einer Herberge verschwand und einen kostbaren Ring, mit edlen Steinen besetzt, zurückließ. Der gute Neustädter glaubte nun sicher, es sei ein vornehmer Herr, der sich einen Schwank gemacht, und hätte wohl die ganze Geschichte vergessen, mahnte ihn nicht bisweilen der Goldring, den er nachher am Finger trug.

Es begab sich aber, daß einst beim Kirchgang ein Ritter einer der nahen Burgen, dem zur selben Zeit, wo der Bürgermeister ins Gäu gefahren, sein Töchterlein von Räubern entführt ward, den Ring als seinen Siegelring erkannte, den er dem Kinde zum Schmucke an einer goldenen Kette umgehängt hatte. Da er den bestürzten Bürgermeister mit harten Worten anging, entstand ein stürmisches Getümmel.

Zur selben Zeit wurde aus dem nahen Leithagebirge ein eben gefangener Räuber eingebracht; der bekannte nun, er habe mit dem Bürgermeister das vermißte Ritterfräulein ermordet. Beide Übeltäter wurden in den Turm geworfen.
Da der tief gekränkte Bürgermeister seine Unschuld nicht zu beweisen vermochte und die Qualen der grausamen Folter scheute, gab er seine Mitschuld zu und wurde bald hernach mit dem Raubgesellen zum Tode geführt. Nahe dem Galgen neigte sich der Mörder zu seinem Gefährten und fragte spöttisch:

Wißt ihr jetzt, wie dem armen Sünder auf seinem letzten Wege zumute ist?“ Darauf wandte er sich den Richtern zu und gestand laut seine Untat und die böse Verleumdung ein.

Der befreite Bürgermeister ließ an der Stelle des Galgens zum Dank für seine Rettung die schöne Kreuzsäule errichten.

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein

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