Die Sage von Pernegg im Murtale

Kahl und wüst ragen die Trümmer der Feste aus dem schwarzen Kranze der Fichten. Vor Jahrhunderten hauste in der trutzigen Burg ein Ritter, der ein gar tüchtiger Weidmann war. Er verstand die Armbrust zu handhaben, den Jagdspieß dem Eber in die Weichen zu rennen, die Doppelgabel gegen den mürrischen Dachs zu zücken und mit dem Dolchhandschuh, einer eisernen Faustmaske mit langem Messer, den Bären zu erlegen.

Frohsinn und Eintracht herrschten in der finsteren Burg. Des Ritters Söhnlein, blond und rosig wie die Mutter, stark und kühn wie der Vater, wuchs kräftig heran und wußte schon den Bogen zu spannen und ein leichtes Schwert zu gebrauchen.
Eines Abends ging die Burgfrau mit dem Sohne den Abhang des Hügels hinunter, um den von der Jagd heimkehrenden Ritter schon unterwegs zu bewillkommnen.

Der Knabe hüpfte fröhlich voran, da teilte sich plötzlich das Gebüsch an einer Felsenkluft und mit wütendem Gebrumm tobte eine mächtige Bärin auf den Weg. In jähem Schreck raffte der Knabe einen Stein vom Boden auf, als sich die Burgfrau mit einem Schrei der höchsten Angst zwischen den Sohn und das Untier stürzte. Bebend riß sie den langen Schleier vom Haupte, warf ihn dem schnaubenden Bären über die Augen und holte mit dem Schlüsselbunde zum Schlage aus.

Mochte das Tier über den ungewohnten Kopfputz oder über den Schrei der entsetzten Mutter erschrocken sein, es hielt verdutzt inne und rieb sich mit der ungefügen Tatze die Augen. Mit einem Male wandte es sich um und suchte eilends das Weite.
Die Schloßherrin faßte ihr Söhnlein am Arme und hastete bleichen Gesichtes dem Schlosse zu. Schon war sie der Pforte nah, da hallte ihr das Gekläff der Meute entgegen, wildes Geschrei durchhallte die Luft, und als die beiden um die Ecke des Gemäuers bogen, verröchelte vor ihren Augen der Bär, noch in die Reste des zerfetzten Schleiers verstrickt. Der Jagdzug des Ritters war einen anderen Weg heimgekehrt, war dem zottigen Ungetüm begegnet und hatte es erlegt.

Jubel umtoste die Burg. Als die Herrin ihr Abenteuer berichtet hatte, wallte der Zug hinab an jene Stelle des Murtales, wo die beherzte Mutter ihr Kind durch den Schleier gerettet hatte. Dort legten sie später den Grund zu einer Kapelle, die nachher zu einer stattlichen Kirch erweitert wurde.

Die Burg wurde fortan Bäreneck (Pernegg) genannt und diesen Namen führte auch das Geschlecht bis zu seinem Erlöschen.

Hans Fraungruber

Quelle: Österreichisches Sagenkränzlein

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