Die Waldfrauen im Johnsbachtal
Als die schönen Waldfrauen aus der Gegend von Admont durch rohe Hirten und übermütige Bauern vertrieben wurden, zogen sie sich in die stille Waldeinsamkeit des friedlichen Johnsbachtales zurück. Hier wohnten sie lange Zeit in der Nähe des Wolfbauern-Wasserfalls in Felsengrotten, deren Vorräume noch heute zu sehen sind. Da konnte man sie öfters in der Dämmerung singen hören. Doch nur wenige Auserwählte haben sie gesehen. Trotzdem halfen sie den guten Menschen, wenn diese in Not und Bedrängnis kamen.
Am Waldrande in der Nähe des Wolfbauern-Wasserfalles arbeitete einmal an einem heißen Sommertage ein armer Holzknecht, der nur ein einziges Hemd besaß, und das war vom langen Tragen schon recht schmutzig und vom Schweiß ganz durchnäßt. In der Mittagspause zog er es aus, um es an der lieben Sonne zu trocknen. Er selbst legte sich unter einen schattigen Baum und schlief vor Müdigkeit ein. Als er nach diesem erquickenden Mittagsschläfchen wieder erwachte, fand er sein Hemd schneeweiß gewaschen und getrocknet vor sich liegen. Die guten Waldfrauen hatten es für den armen Holzknecht getan.
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Eine Sennerin ließ gerne ihre Schafe beim Wolfbauern-Wasserfall grasen. Da kamen eines Tages die Waldfrauen zu ihr und sagten: „Gib uns ein Lämmchen, wir geben dir ein Stück Fleisch. Beiß aber dabei auf keinen Knochen!“ Die Sennerin gab den Waldfrauen ihr eigenes Lämmchen. Weil es aber sehr vernachlässigt war, kämmten es die Waldfrauen. Als nun die Sennerin ihre Herde am Abend wieder heimtrieb, bemerkte sie ihr verschenktes Lämmchen schön gekämmt wieder bei der Herde, aber es hinkte, denn die Sennerin hatte auf einen Knochen gebissen.
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Einer Halterin vom Wolfbauern nahmen die Waldfrauen einmal ein Lämmchen von der Herde weg. Die Dirn erzählte es am Abend daheim. Der Wolfbauer sagte: „Das macht nichts, die Waldfrauen brauchen auch etwas zum Essen.“ In einigen Tagen war das Lämmchen wieder bei der Herde zu sehen, doch viel schöner gepflegt.
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Einst pflügte der Wolfbauer auf seinem Felde. Beim Ziehen der Furchen sah er in der Nähe die Waldfrauen Brot backen. Scherzweise bat er beim Vorbeifahren um ein Stück zum Kosten. Als er bei der nächsten Ackerfurche mit seinem Gespann wieder an diese Stelle kam, fand er in einer Furche einen schönen Laib Brot. Er war besonders groß und schmackhaft. Die Waldfrauen hatten ihn gebacken.
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Vor Zeiten war in Johnsbach eine Hungersnot. Die Leute wurden vor Hunger ganz krank und schwach. Da legten die Waldfrauen öfters Brot in die Ackerfurchen der armen Hungernden.
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Ein Kohlenführer, der einmal in die Nähe der Waldfrauen-Behausung kam, hörte eine Stimme rufen: „Gib außi die Ofenschüssel!“ Der Kohleführer rief zurück: „Mir a an Ofenstriezl!“ Und schon lag am Wegrand ein schöner Brotwecken, frischgebacken von den Waldfrauen.
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Eine der schönen blondhaarigen Waldfrauen gewann den Wolfbauern-Paul sehr lieb. Sie besuchte ihn häufig im Hause. Die Bäuerin war sehr klug und nahm die schöne Waldfrau recht gastfreundlich auf. Dafür erwies sich diese auch recht dankbar und versprach beim Abschied dem Wolfbauern-Hause und seinen Bewohnern Glück und Segen für alle Zeiten, solange der Name Paul in der Familie des Wolfbauern bleibt, für die Dienstboten der Laib Brot stets in der Tischlade liegt und die süße Milch für sie auf dem Tische steht.
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Einmal hatte die Wolfbäuerin fast die ganze Nacht hindurch gearbeitet. Als sie gegen Morgen müde in ihre Schlafkammer kam, fand sie die schöne Waldfrau in ihrem Bette liegen und ihr langes, goldglänzendes Haar hing bis auf den Boden herab. Leise trat die Bäuerin zum Bett, hob das Haar auf und legte es sorgsam über die Polster. Als die Wolfbäuerin später wieder Nachschau hielt, war die Waldfrau verschwunden und seither wurde sie auch niemals mehr gesehen.
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Als in späterer Zeit die Johnsbacher Halterbuben anfingen, beim Viehhüten mit den Peitschen zu schnalzen, da flohen die schönen Waldfrauen aus dem friedlichen Tal. Niemand weiß, wohin. Das Peitschenknallen können die Waldfrauen nicht ertragen.
Quelle: Admont und das Gesäuse in der Sage; DDr. P. Adalbert Krause O.S.B. Professor in Admont; Oberösterreichischer Landesverlag Ges.m.b.H., Linz; ohne Jahresangabe
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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