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Die Waldfrauen und die Wolfbauernmühle
Die Plesch war einstens eine sehr fruchtbare und vielbesuchte Alm. Dies verdankte sie dem Segen der guten Waldfrauen. Mit der zeit wurde aber das Hirtenvolk auf der Alm übermütig. Sie neckten und verhöhnten die schönen Waldfrauen, wenn sie sich am Abend zwischen den Hörnern der Almkühe schaukelten. Sogar ihre klirrenden, eisernen Ringstücke warfen sie ihnen nach, so daß sie sich in den Abgründen der Plesch verbergen mußten. Manche von den Waldfrauen verunglückten dabei in den tiefen Schluchten. Auf das hin verfluchten sie die Alm. Die fetten Weideflächen verdorrten, Hirten, Vieh und Wild fanden keine Nahrung mehr. Die Plesch verödete ganz und aus der reichgesegneten Alm wurde eine unfruchtbare Hochfläche. Die guten Waldfrauen zogen sich nun in das stille Johnsbachtal zurück. Hier hausten sie in der Nähe der Wolfbauernmühle, auf welcher Bernhard als Besitzer mit seiner zweiten Ehefrau Helene und den beiden Kindern Maria und Anton lebte. Maria stammte aus der ersten Ehe, war voller Liebreiz, bildschön und ebenso tugendhaft, beliebt bei allen Johnsbachern – zum Ärger ihrer Stiefmutter, die sie um ihre Vorzüge beneidete und ihr mit Groll und Haß und manch harten Worten begegnete. – Maria ertrug alle diese Bitterkeiten mit Engelsgeduld und klagte niemals darüber. Am liebsten hielt sie sich gegen Abend mit ihrem kleinen, blondgelockten Stiefbruder Anton in der Nähe des Wasserfalles auf. Dort sah sie oft im abendlichen Zwielicht auf einem bemoosten Stein eine schöne Waldfrau sitzen, die ihr zuwinkte, sie mit freundlichen Worten ansprach und ihr kleine Geschenke, besonders seltenes Obst gab. Maria und die weiße Waldfrau waren bald gut befreundet. Wurde es dunkler, so erhoben sich aus dem Gebüsch noch zwei bis drei andere Waldfrauen, die dann zusammen in der Dunkelheit verschwanden.
In Gesellschaft der schönen Waldfrauen wurde Maria auch öfters von vorübergehenden Leuten gesehen. Das sprach sich herum. Dazu brachte der kleine Toni Geschenke von den Waldfrauen heim. Über all das ergrimmte die Stiefmutter noch mehr und verhinderte, so oft sie nur konnte, ihren beiden Kindern den Besuch bei den Waldfrauen.
An einem Abend begab sich Helene, die Stiefmutter, selbst mit dem kleinen Toni in die Nähe des Wasserfalles, um sich von der Wahrheit über die Waldfrauen zu überzeugen. Doch bei ihrem Nahen verschwanden sofort die weißen Gestalten. Vor Schreck hierüber ließ Helene ihr Kind los, das im nächsten Augenblick in die schäumenden Wasserfluten stürzte. „Gerechter Gott, mein Kind!“ schrie sie und sank ohnmächtig zusammen. Da tauchte aus dem Ufergebüsch die weiße Waldfrau mit dem bewußtlosen Kinde auf und legte es der Mutter, die nun wieder erwacht war, mit den Worten zu Füßen: „Maria weiß dein Kind besser zu hüten als du.“ Dann verschwand die weiße Frau.
Nach diesem Erlebnis haßte die Stiefmutter ihre Maria noch mehr. Sie glaubte, Maria stehe unter besonderem Schutz der Waldfrauen und begegnete ihr stets mit geheimer Scheu. Maria litt schwer unter diesen Verhältnissen.
Dazu kam noch, daß in der Wolfbauernmühle ein Mühlbursche namens Rupert im Dienste stand, der wohl sehr geschickt war, sein Handwerk verstand, ein ebenso trefflicher Jäger und Schütze war, sich in der Arzneikunst gut auskannte aber auch mit allen Ränken vertraut war. Eines Tages verlangte er von den Müllersleuten Maria zur Frau, die aber nichts von ihm wissen wollte. Auch sein Meister vertröstete ihn und zog die Angelegenheit hinaus, denn er fürchtete das unheimliche Wesen seines Müllerburschen, andererseits wollte er ihn aber wegen seiner allseitigen Brauchbarkeit nicht gerne entlassen. Maria wurde hierüber noch unglücklicher, weil sie von der Stiefmutter von nun an noch mehr gequält wurde. Sie bat flehentlich ihren Vater um Abhilfe, denn sie fühlte sich ganz verlassen, da sich auch die schönen Waldfrauen nicht mehr zeigten.
Unterdessen veränderte sich das Wesen des Mühlburschen immer mehr. Er ging oft fort, kam längere Zeit nicht heim, trieb sich in zweifelhafter Gesellschaft herum, spielte und zechte gern, war bei jeder Wirtshausrauferei dabei und kehrte dann mit wertvollen Hölzern zum Erzeugen neuer Mühlgeräte heim. Auch brachte er hin und wieder einen Rehbock mit, den er für die ganze Familie zubereiten ließ. Einige wollten ihn auch auf der verrufenen Sieberleitenalm in Gesellschaft von bösen Bergmännchen gesehen haben. Für Maria hatte er die auserlesensten Geschenke, goldene Ringe, Halsketten, silberne Gürtel und mit blanken Talern warf er in seinem Übermut freigebig und protzig herum.
Maria wich ihm stets aus. Darüber war ihre Stiefmutter sehr erbost und schlug sie sogar ins Gesicht. Weinend nahm sie Zuflucht zu ihrem Vater. In diesem Augenblick stürzte Rupert in die Stube und verlangte Maria zum Weib. Der Vater wies ihn ab, kündigte ihm den Dienst und gab ihm außer seinem ausbedungenem Lohn noch ein reichliches Geschenk. Nun verließ wohl der kecke Müllerbursche das Haus, forderte aber um jeden Preis Maria zur Ehefrau. Sie blieb jedoch standhaft und weigerte sich trotz der groben Behandlung ihrer Stiefmutter. Sie entschloß sich nun, im Frühjahr auf die Jägerhoferalm als Sennerin zu gehen. Der Vater war darüber froh und gab seine Zustimmung. Maria war glücklich auf der Alm. Der Unhold Rupert war nicht mehr zu sehen.
An einem Nachmittag verschwand der kleine Toni, der sich spielend vor der Mühle beschäftigt hatte. Darüber waren die Müllersleute sehr bestürzt. Alles Suchen war vergebens. Nur seine Kappe fand man am Bachufer. Alle glaubten, Toni sei im Mühlbach ertrunken.
In der gleichen Nacht, als Maria vor der Almhütte das Abendgebet verrichtete, stieg ein Fremder zur Alm. Schnell flüchtete sie sich in die Hütte, riegelte zu, löschte Licht und Feuer aus und begab sich zu Bett. Bald hörte sie an ihrer Hütte schwere Schläge und ihren Namen mit rauher Stimme rufen. Doch sie öffnete nicht. Als sie jedoch die helle Stimme ihres Brüderchens hörte, machte sie auf. Wie erschrak aber Maria, als sie Rupert, bis an die Zähne bewaffnet, mit dem kleinen Toni vor sich sah. Mit schweren Drohungen, den Kleinen zu töten, forderte er nun Maria zum Weib und die Wolfbauernmühle als Erbe. Maria bat inständig, ihren kleinen Bruder wenigstens zu schonen und dem Vater wieder zurückzugeben. Rupert gab nach und legte sich müde, mit geladenem Gewehr, auf das Bett und schlief alsbald ein. Dies benützte Maria und floh mit dem kleinen Toni aus der Almhütte, sich dem Schutze Gottes und Mariens empfehlend, so schnell sie ihre Füße nur tragen konnten, gegen das Sulzkar. Schnell ging es über die Hänge der Alm, über Felsen und Gestrüpp. Schon glaubte sie sich mit ihrem Stiefbrüderlein in Sicherheit, da bemerkte sie, daß ihr der freche Verfolger mit dem Gewehre nacheilte. Um so mehr beschleunigte sie ihre Flucht. Eine schauerliche Felsenschlucht tat sich vor ihr auf. Rasch ergriff sie einen herabhängenden Ast eines Baumes und schwang sich kühn mit dem kleinen Toni über den Abgrund auf den entgegengesetzten Felsenrand. Noch ehe sie den Boden erreichte, schoß Rupert auf sie und zerschmetterte ihr den Arm, das Kind aber bleib unverletzt. Der Schuß und das Geschrei des Knaben schreckte einige in der Nähe weilende Holzknechte auf. Sie kamen schnell herbei, nahmen den flüchtenden Verfolger fest und banden ihn mit Stricken. Auf der anderen Seite der Felsenschlucht fanden sie Maria mit dem blutenden Arm und dem kleinen, weinenden Toni. Sie verbanden ihr die Wunde und labten sie mit Wasser, machten eine Tragbahre und brachten sie nach Hieflau ins Verweserhaus. Dort fand sie Aufnahme und liebevolle Pflege von der Hausfrau, ihrer Schwester und Base, die niemand andere waren als die drei weißen Waldfrauen vom Johnsbacher Wasserfall. Als sie geheilt war, kehrte sie wieder nach Johnsbach zurück. Ihr Wiedererscheinen brachte dem ganzen Bauernvolke Freude. Sie führten die gute, von den Waldfrauen stets treu beschützte Maria in einem feierlichen Zuge heim zur Wolfbauernmühle.
Quelle: Admont und das Gesäuse in der Sage; DDr. P. Adalbert Krause O.S.B. Professor in Admont; Oberösterreichischer Landesverlag Ges.m.b.H., Linz; ohne Jahresangabe
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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