Karls des Großen Tod und Grab
Als es mit Kaiser Karl dem Großen zum Sterben kam, verordnete der Held, wie es mit seinem Begräbnis geschehen solle. Dabei ereigneten sich große Wunderzeichen am Himmel und auf Erden, die des mächtigen Kaisers Absterben voraus verkündigten. So stürzte der bedeckte Gang ein, der von der Kaiserpfalz auf den Markt beim Münster führte.
Da Karolus nun verstorben war, wurde, er beigesetzt im rechten Sinne in eine neue, wohlverwahrte Gruft, auf einem Stuhl von Marbelstein aufrecht sitzend, auf seinem Haupt die Krone, in der einen Hand das Szepter und in der anderen das Evangelienbuch. So wurde über ihm die Gruft geschlossen und vermauert. Das geschah gleich am zweiten Tage nach dem Tode des großen Herrschers. Wenige Wochen später kam sein Sohn, der fromme Ludwig, und übernahm das Erbe des Reiches. Der sah seinen Vater nicht mehr und kein Mensch erblickte ihn mehr, bis man das Jahr eintausend schrieb. Damals trug die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Otto III. vom Sachsenstamme. Dem gelüstete zu einer Zeit, den Leichnam Karls des Großen zu schauen. Er ging deshalb zum Grab, geleitet von einem Bischof und zweien Grafen, und ließ die Öffnung in die Gruft aufbrechen. Da saß der seit beinahe zwei Jahrhunderten beigesetzte Kaiser noch hoch und hehr, wie ein steinern Heldenbild, auf seinem Marmelstuhl, die Krone auf dem Haupte, das Szepter in der behandschuhten Hand und das Buch auf den Knien, schier dräuend und schrecklich. Alle beugten sich ehrfurchtsvoll vor dem großen Toten und befanden, daß die Nägel fortgewachsen waren durch die Handschuhe hindurch und daß die Fäulnis gerade erst die Nase ergriffen hatte. Diese ließ Kaiser Otto aus Gold ergänzen, schnitt dem Leichnam mit goldener Schere die Nägel ab und kleidete ihn in ein weites Gewand. Dann entnahm er dem Munde Karls einen Zahn, ließ diesen aufbewahren als heilige Reliquie, darauf wurde das Grab wieder verschlossen und fest vermauert wie zuvor.
In der Nacht auf diesen Tag erschien aber Karolus dem Kaiser Otto III. im Traume, hehr und schrecklich anzusehen, und sprach zu ihm: „Mußtest du kommen und meine Ruhe stören? Bald wirst du ruhen, wo ich ruhe, nicht weit von hier, und erloschen wird mit dir dein Stamm!“ Otto, der Kaiser, nahm sich dieses Gesicht sehr zu Herzen. Er gründete eine Kirche und ein Klosterstift und weihte es in die Ehre Sankt Adalberts. Im zweiten Jahre, nachdem er des Karoli Leichnam gesehen hatte, da wurde wirklich das Wort der Erscheinung erfüllt. Otto III. ruhte alsdann in der Kaisergruft zu Aachen. Hernachmals hat nach aberzweihundert Jahren Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen Karls Gebeine erheben und in einen prächtigen goldenen und silbernen Sarg legen lassen, die Krone aber und die anderen Kleinodien dem Domschatze überwiesen.
Zu Österreich im Untersberg soll der Sage nach der hohe Kaiser heute noch ruhen und warten auf die Stunde seiner Wiederkehr.