Die Stierwascher
Die Salzburger werden schon seit langer Zeit von ihren Nachbarn die Stierwascher genannt. Dieser Spitzname wurde auf nachfolgende Begebenheit zurückgeführt:
Einmal erschien ein mächtiger Feind vor Salzburg und nahm nach heftigem Kampf die Stadt ein. Die einzige Rettung der Bewohner war die Festung Hohensalzburg, in welche sie sich auch zurückzogen, und die sie heldenmütig verteidigten. Trotz tapferer Übermacht und Verwegenheit des Feindes scheiterten alle seine Stürme an den hohen Mauern von Hohensalzburg. Der Feind sah nun ein, daß Gewalt da nichts fruchte und nur der Hunger die Eingeschlossenen zwingen könne, die Burg zu übergeben. Und so ließen sie die Waffen ruhen und lagen untätig vor dem trotzenden Nest. Lange währte die Belagerung. Endlich waren die Lebensmittel darin aufgezehrt und war nur ein weißer Stier übrig geblieben. Schon begann die Besatzung zu verzagen, da nahm der Burghauptmann zu einer List seine Zuflucht. Er ließ den Stier auf dem Festungswall herumführen, damit ihn die Feinde sehen konnten. Dabei zwackte man ihn derart, daß er jämmerlich brüllte. In der Nacht jedoch überstrichen sie seine Haut mit brauner Farbe und zeigten ihn des Morgens neuerdings dem Feind. Am dritten Tag führten sie den nun schwarz übertünchten Stier auf den Wall hinaus. Die List gelang vollständig; der Feind meinte, die Salzburger hätten noch Schlachtvieh genug, und er zog bei Nacht und Nebel ab. Unter großem Jubel führte man hierauf den braven Stier zur Salzach hinab und wusch ihn wieder weiß. Als Lohn für seine treue Mithilfe bei der Befreiung von Salzburg aus Feindeshand erhielt man ihn bis zu seinem Ende auf der Festung.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich bald in der weiten Umgebung die Geschichte, wie man in Salzburg einen schwarzen Stier weiß gewaschen habe. In späterer Zeit errichtete man zur Erinnerung an jene Begebenheit auf der Festung ein gewaltiges Orgelwerk, das der Stier von Salzburg genannt wurde und das heute noch als Wahrzeichen der Stadt besteht.
Quelle: Schelme und Narren; Josef Pöttinger; Verlag Ferdinand Ertl Wien; 1941
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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