DAS SALZ UND DAS GOLD

Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter, die behütete er wie seinen Augapfel. Als er alt wurde, kam ihm oft der Gedanke, welche der Töchter nach seinem Tode Königin sein sollte. Das machte ihm nicht wenig Sorge, denn er hatte alle drei gleich lieb. Schließlich sagte ihm sein Verstand, daß er diejenige zur Königin machen müsse, welche ihn am meisten liebte, und er rief sogleich die Töchter herbei und sprach zu ihnen:
„Liebe Kinder, ich bin alt, das seht ihr, und ich weiß nicht, ob ich noch lange leben werde. Ich will deshalb bestimmen, welche von euch nach mir die Königskrone tragen soll. Nur sollt ihr mir vorher sagen, wie groß eure Liebe zu mir ist.“
„Mein Vater“, sagte die Älteste, „du bist mir lieber als das Gold“, und küßte dem Vater die Hand.
„Gut, und du, meine zweitgeborene Tochter, sprich nun du.“
„Mein Vater, du bist mir teurer als mein Myrtenkränzchen“, antwortete diese und küßte ihn auf die Wange.
„Gut, und du, meine Jüngste, nun sprich du.“
„Vater, ich liebe dich so wie das Salz“, sagte Maruschka und blickte den Vater zärtlich an.
„Oh, du Ungute, nicht einmal mehr als das Salz?“ riefen die beiden älteren Schwestern.
„Wie das Salz“, wiederholte Maruschka.
Aber der König war sehr gekränkt, dem nichtigen Salz verglichen zu werden. Etwas so gewöhnliches, etwas, das jeder Mensch haben kann und auf das keiner acht hat.
„Geh mir aus den Augen, Tochter, die mich nicht höher schätzt als das Salz“, zürnte der König. „Sollte es einmal so weit kommen, daß Salz mehr begehrt wird als Gold, dann magst du wieder zu mir zurückkehren, früher aber nicht.“
Maruschka, die dem Vater immer gehorchte, verließ nach diesen seinen Worten das Schloß mit Tränen in den Augen und das Herz voller Leid. Es schmerzte sie sehr, daß der Vater ihre große Liebe nicht erkannte. Sie wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte, und sie ging dem Winde nach über Berge und Täler, bis sie in einen ganz dunklen Wald kam. Da trat ihr ein altes Mütterchen in den Weg. Maruschka grüßte freundlich. Das Mütterchen dankte, und da es sah, wie traurig Maruschka war, fragte es das Mädchen, was ihm fehle.
„Ach, Mütterchen, ihr könnt mir ja doch nicht helfen“, sagte Maruschka.
„Vielleicht doch, vielleicht doch“, sagte die Alte. „Vertrau dich mir nur an.“
Maruschka erzählte nun alles und sie fügte noch hinzu, daß sie ja gar nicht Königin werden wolle, sie wünsche nur, daß ihr Vater erkennen möge, wie sehr sie ihn liebe.
Das Mütterchen wußte, daß Maruschka die Wahrheit sprach, denn sie war die weise Frau. Sie nahm Maruschka bei der Hand und fragte sie, ob sie bei ihr dienen wolle.
Freudig sagte Maruschka ja, und die weise Frau führte das Mädchen in ihre Waldhütte.
„Kannst du Schafe hüten?“ fragte die alte Frau, nachdem sie Maruschka gelabt hatte. „Kannst du Schafe melken? Kannst du spinnen und Leinen weben?“
„Nein, das kann ich alles nicht“, antwortete Maruschka. „Aber ich will es gerne lernen.“
„Gut, ich will es dich lehren, nur mußt du gehorsam sein und auf alles achten, was ich dir sage. Und wenn die richtige Zeit gekommen ist, wird es dir gut gehen.“ So sprach zu Maruschka die weise Frau.
Während Maruschka bei der alten Frau Schafe hütete, Schafe melkte, spann und Leinen webte, lebten ihre älteren Schwestern nur dem Vergnügen. Sie umschmeichelten den Vater, damit er ihnen immer mehr neue Kleider und neuen Tand schenkte. Die älteste der Schwestern erstrahlte nur so in Gold und die zweite ergab sich mit Leidenschaft dem Tanz. Ein Fest folgte dem andern und die Töchter taumelten von Freude zu Freude. Längst hatte der Vater erkannt, daß der älteren Tochter das Gold das Liebste war, lieber auch als der eigene Vater. Und als ihm die zweite kundtat, daß sie sich mit einem Mann vermählt habe, da wußte er, daß sie ihr Myrtenkränzchen doch nicht sehr hoch bewertet hatte. Immer häufiger mußte er an Maruschka denken, und am liebsten hätte er sie heimgeholt, wenn er gewußt hätte, wo sie sich aufhielt. Wenn ihm aber dann wieder einfiel, daß sie ihn nur so lieb hatte wie das Salz, dann ärgerte er sich wieder und war froh, daß sie fort war.
Eines Tages sollte es wieder ein großes Fest geben. Da kam der Koch zum König gelaufen:
„Herr König, es ist ein großes Unglück geschehen. Wir haben kein Salz. Womit soll ich die Speisen salzen?“
„Kauf neues, Dummkopf“, sagte der König.
„Ach, Herr König, im ganzen Lande bekommt man kein Körnchen Salz mehr zu kaufen. Manche Leute haben noch ein bißchen, aber die wollen es nicht hergeben, nicht für alles Gold.“
„Lächerlich“, sagte der König. „So salze die Speisen mit irgendetwas anderem.“
„Ach, es gibt nichts, was Salz ersetzen könnte“, jammerte der Koch.
„Dann bereite eben nur süße Speisen“, entschied der König.
Gut, dachte der Koch. Er ging in seine Küche zurück und kochte alle Speisen mit Zucker.
Den Gästen schmeckte das Essen gar nicht. Das ärgerte den König. Er schickte nach allen Seiten Boten ins Land, aber alle kamen mit leeren Händen wieder. Nun schickte er Reiter in die Nachbarländer, aber auch die kamen ohne Salz wieder heim. Den Gästen aber sagten die süßen Speisen immer weniger zu, und sie verließen darum das königliche Schloß. Die Töchter waren wütend, aber was sollten sie machen? Sie hatten ja selbst alle Lust am Essen verloren.
Der alte König war erkrankt.
„Dem König fehlt das Salz“, sagten die Ärzte, und der König begriff nun, was für eine Gabe Gottes Salz war. Mit tiefem Leid dachte er an seine jüngste Tochter, der er so großes Unrecht zugefügt hatte.
Maruschka aber ging es in der Waldhütte sehr gut. Sie ahnte ja nicht, wie es um ihren Vater stand. Aber die weise Frau wußte alles. Und eines Tages sprach sie:
„Mein Mädchen, die richtige Zeit ist gekommen, du mußt nach Hause gehen.“
„Ach, teures Mütterchen, mein Vater will mich ja nimmer sehen“, sagte Maruschka und begann zu weinen.
Da erzählte ihr die weise Frau, was sich zu Hause bei Maruschka zugetragen hatte.
„Salz ist dort nun begehrter als Gold“, sagte die weise Frau. „Darum kehr zurück zu deinem Vater. Du warst Gehorsam und fleißig, Maruschka, ich will dir mitgeben, was immer du dir wünschest.“
„Ihr habt mich so vieles gelehrt und so gut behütet, gute Mutter, ich verlange nichts als eine Handvoll Salz, damit ich es meinem Vater bringen kann.“
„Verlange mehr, ich bin bereit, dir jeden Wunsch zu erfüllen“, sagte die weise Frau eindringlich.
„Ich bitte um nichts mehr als um das Salz“, antwortete Maruschka.
„Wenn du das Salz so zu schätzen weißt, so soll es dir nie fehlen. Hier hast du eine Rute. Wenn der Wind von Süden weht, dann geh dem Winde nach. Geh über drei Täler und drei Berge, dann verweile und streiche mit der Rute über den Boden. Die Erde wird sich öffnen, und du steige hinunter in die Tiefe. Was du dort findest, das gehört dir.“
Maruschka dankte, nahm die Rute und verwahrte sie wohl. Dann bekam Maruschka noch eine Tasche voll Salz.
„Und nun verlasse mich“, sagte die weise Frau, und mit Tränen in den Augen verabschiedete sich Maruschka.
„Ich hole dich bald in unser Schloß“, sagte Maruschka. Aber die weise Frau lächelte nur.
Im Schlosse erkannte Maruschka keiner. Sie war ärmlich gewandet und überdies hatte sie sich ein großes Tuch um den Kopf gebunden, das auch ihr Gesicht zur Hälfte verdeckte. Man wollte sie nicht vor den König lassen.
„Laßt mich doch zu ihm“, bat Maruschka. „Ich bringe ihm etwas, das begehrter ist als Gold und das ihn gesund machen wird.“
Man berichtete das dem König, und da befahl er, das Mädchen zu ihm zu führen.
Als sie vor ihm stand, bat sie um ein Stück Brot. Man gab es ihr.
„Gesalzen ist es aber nicht, denn wir haben kein Salz“, sagte der König.
„Salz habe ich selbst“, sagte Maruschka. Sie brach ein Stück Brot ab, griff in ihre Tasche, salzte das Brot und reichte die mit Salz gefüllte Tasche dem König hin.
„Salz! Oh, Mädchen, das ist ein kostbares Geschenk. Wie könnte ich dir das lohnen? Du darfst dir wünschen, was du willst, alles sollst du bekommen“, rief der König aus.
„Ich wünsche mir nur, Vater, daß ihr mich so lieb habt wie das Salz“, antwortete Maruschka; diesmal mit ihrer natürlichen Stimme und sie nahm das Tuch von ihrem Kopf weg.
Da erkannte der Vater seine Tochter und vor Freude wäre er beinahe in Ohnmacht gefallen. Er bat sie um Verzeihung, aber sie liebkoste ihn und hatte alles Böse vergessen.
Rasch verbreitete sich im Schloß und in der Stadt die Nachricht von der Rückkehr der jüngsten Tochter, und daß sie Salz mitgebracht hatte, wußten die Leute auch schon. Wie freuten sich alle Menschen! Die älteren Schwestern freuten sich nicht so sehr über Maruschkas Rückkehr wie über das Salz, denn sie waren sich dessen bewußt, daß sie nicht gut gegen die jüngste Schwester gehandelt hatten. Aber Maruschka trug ihnen nichts nach. Sie war glücklich, daß sie ihren Vater und allen andern hatte helfen können. Jeder, der zu ihr kam, bekam Salz, und die Tasche war immer noch nicht ganz leer.
Den König hatte schon die Freude gesund gemacht, und er ließ gleich die Ältesten seines Volkes rufen und Maruschka als Königin einsetzen.
Als Maruschka unter freiem Himmel zur Königin gekrönt wurde, fühlte sie plötzlich einen warmen Wind über ihre Wangen wehen. Er kam vom Süden her. Da erinnerte sie sich an die Wort der weisen Frau. Sie erzählte alles ihrem Vater, dann nahm sie die Rute und machte sich auf den Weg.
Sie ging mit dem Wind, wie es geboten war. Und als sie drei Täler und drei Berge hinter sich gelassen hatte, bleib sie stehen und schlug mit der Rute gegen den Boden. Die Erde öffnete sich und Maruschka stieg hinunter in die Tiefe.
Sie kam tief, tief hinunter; plötzlich befand sie sich in einem großen Palast. Alles sah da aus, als wäre es aus Eis: die Wände, der Boden, die Decke, und es gab zahllose Gänge, und Zwerge mit brennenden Lichtern liefen auf Maruschka zu.
„Sei uns willkommen, Königin“, sagten sie, „sei uns willkommen, wir haben dich erwartet. Unsere Herrin hat uns befohlen, dir zu dienen.“
Maruschka war wie geblendet von der Schönheit dieses geheimnisvollen Reiches. Die Zwerge führten sie durch viele, viele Gänge. Eisgebilde hingen von allen Decken, sie glitzerten wie Diamanten, und in Gärten führten sie Maruschka, da blühten Rosen und andere Blumen von fremdartiger Form und alle sahen aus, als wären sie aus eis gebildet. Ein Zwerg pflückte eine Rose und überreichte sie Maruschka; sie roch daran, aber die Rose hatte keinen Duft.
„Was ist das alles?“ fragte Maruschka. „Solche Schönheit habe ich noch nie gesehen. Bin ich in einem Eispalast?“
„Nicht Eis ist alles, was du hier siehst; Salz ist alles, und alles gehört dir.“
„Salz?“ fragte Maruschka. „Wirklich Salz? Dann ist alles gewiß nur zum Anschauen da. Denn damit dieses Salz den Menschen diene, müßte diese Schönheit hier ja zerstört werden, und das darf wohl nicht sein.“
„Gewiß darf es sein“, antworteten die Zwerge. „Die Schönheit hier ist unzerstörbar, wieviel auch von dem Salz du von hier fortschaffen lassen wirst.“
Wie glücklich war nun Maruschka! Sie dankte den Zwergen und ging eilig an die Oberfläche der Erde zurück. Der Eingang zum Reich des Salzes aber blieb offen hinter ihr. Als Maruschka heimkehrte und dem Vater alles erzählte, da erkannte der Vater, welch kostbares Geschenk seine Tochter von der weisen Frau bekommen hatte.
Maruschka hatte ihre gütige Lehrerin nicht vergessen. Sie ließ ihren königlichen Wagen anspannen und führ mit dem Vater in den Wald, um die alte Frau ins Schloß zu holen. Obwohl sie sich den Weg zur Waldhütte gut gemerkt hatte, konnte sie die Hütte nicht finden. Sie suchten kreuz und quer im Walde herum, aber von der Hütte war keine Spur da und vom Mütterchen nicht der kleinste Laut zu vernehmen. Jetzt erst wußte Maruschka, von welcher Art die alte Frau gewesen war.
Das Salz in der Tasche ging schließlich doch zu Ende, aber Maruschka wußte, wo neues wuchs. Die älteren Schwestern vergönnten Maruschka dieses Glück nicht, aber es half ihnen nichts, auch wenn sie vor Wut geborsten wären. Der Vater liebte Maruschka mehr als sie, und überhaupt alle Menschen liebten Maruschka und waren ihr dankbar. Sie aber blieb immer bescheiden und brav und bis zu ihrem Tode vergaß sie nicht die Lehren der weisen Frau.

Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944

© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.

 
designed by © Norbert Steinwendner, A 4300 St. Valentin