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DAS SONNENPFERD
Es war einmal ein Land, das war finster wie ein Grab. Denn Gottes Sonne schien dort nicht. Aber es wurde von einem König beherrscht, der hatte ein Pferd, das eine Sonne auf der Stirne trug. Dieses Sonnenpferd ließ er durch das ganze Reich führen, damit es dem Volke wenigstens für einen Teil des Tages Sonne bringe und den Menschen so das Leben möglich gemacht werde.
Dieses Sonnenpferd wurde dem König geraubt. Da wälzte sich eine arge Finsternis über das Land, und unerhörter Schrecken verbreitete sich, furchtbare Not brach herein, keiner konnte mehr arbeiten, und nichts wuchs mehr auf den Feldern.
Um seinem Volke zu helfen, entschloß sich der König, das Sonnenpferd zu suchen. An der Spitze seines Heeres zog er aus, und mühsam tasteten sie sich zur Grenze des Landes, wo sie zwischen tausendjährigen Bäumen einen schwachen Lichtschein erblickten. Aber wohin immer sie sich wandten, überall war Wald, nichts als Wald. Inmitten des Waldes fanden sie eine einsame Hütte. Und der König trat ein, um nach dem Weg zu fragen.
An einem Tisch saß ein Mann, und vor ihm lag aufgeschlagen ein großes Buch, in dem er eifrig las.
Als der König ihn grüßte, dankte er und erhob sich. Er war von hoher Gestalt und von edlem Antlitz und seine Augen verrieten tiefes Wissen.
„Ich as soeben über dich, du suchst dein Sonnenpferd. Schicke deine Soldaten nach Hause zurück, du aber zieh aus mit mir, ich werde dir das Sonnenpferd wieder verschaffen.“
„Du Gütiger, wie soll ich dir das lohnen?“ fragte der König.
„Ich brauche keinen Lohn, ich helfe den Guten.“
Da ließ der König sein Heer den Rückweg in die Heimat antreten, er aber blieb in der Hütte zurück.
Der Weise setzte sich wieder zu seinem Buch und las bis zum Abend darin. Am nächsten Morgen trat er die Reise an; der König begleitete ihn.
Der weg war lang. Sie mußten durch sechs Länder und noch weiter wandern. Im siebenten Land blieben sie vor dem königlichen Schloß stehen. Eine Hexe herrschte über dieses Land. Sie hatte einen Sohn und drei Töchter.
„Höre“, sagte der Weise zum König, „bleibe du hier, ich will hineingehen und sehen, ob der Sohn der hexe daheim ist; er besitzt das Sonnenpferd.“
Nach diesen Worten verwandelte sich der Weise in einen kleinen grünen Vogel und flog hinauf zum Fenster der drei Hexentöchter. Die Mädchen ließen ihn ein und freuten sich über seinen Anblick.
„Du würdest auch unserem Bruder sehr gefallen“, sagten sie, „aber er kommt erst am Abend. Er reitet auf dem Sonnenpferd durch unser Land.“
In diesem Augenblick stürzte die alte Hexe ins Zimmer und schrie: „Erwürgt ihn, diesen Vogel, sonst bringt er Unheil über uns!“
„Wie kann ein so unschuldiger Vogel uns Unheil bringen“, lachten die Mädchen.
„Was, unschuldig?“ kreischte die Hexe und wollte den Vogel ergreifen. Aber der flog aus dem Fenster und war nicht mehr zu sehen.
Der Weise hatte nun in Erfahrung gebracht, was er zu wissen begehrte, und eilte zum König zurück. Gemeinsam gingen sie zu der Brücke, über welche der Hexensohn kommen mußte.
Am Abend hörten sie Pferdegetrappel. Der Sohn der Hexe kam auf dem Sonnenpferd angeritten. Aber das Pferd strahlte keinen Glanz aus. Im Reiche des Bösen versagte dieses Wunder.
Als das Pferd mit dem Hexensohn die Brücke betrat, stand der Weise von ihm.
„Gib das Pferd dem zurück, dem du es gestohlen hast“, befahl er mit mächtiger Stimme. Aber der Böse verspottete den Weisen. Da zog dieser sein Schwert. Auch der Böse riß das seine aus der Scheide, aber er konnte den starken Hieben seines Gegners nicht standhalten. Nach kurzem Kampf fiel er tot vom Pferde.
Gleich schwang sich der Weise darauf, hieß den König hinter ihm aufsitzen und sie ritten davon.
Im Hexenschloß herrschte eine große Trauer, als man vom Tod des Sohnes erfuhr!!! Die alte Hexe tobte vor Wut und war entschlossen, den Weisen und seinen Begleiter zu vernichten. Sie setzte sich auf einen Besenstiel, die drei Töchter setzten sich hinter sie und – frrrr! – waren sie im Winde davon.
Der Weise und der König waren indes schon ein gutes Stück vorwärtsgekommen. Da bekam der König furchtbaren Hunger; und ihn zu stillen, war nicht einmal eine Holzbirne da.
Aber was war das? Plötzlich stand ein Apfelbaum mitten am Weg, voll behängt mit prächtigen, herrlich duftenden Früchten.
Erfreut sprang der König vom Pferd und lief zu dem Baum. Schon streckte der die Hand nach einem Apfel aus, da hielt ihn die Stimme des Weisen zurück.
„Warte“, rief er, „ich will für dich eine Frucht pflücken.“ Aber anstatt nach einem Apfel zu langen, griff der Weise nach seinem Schwert und stieß es in den Stamm des Baumes. Rotes Blut schoß aus dem Stamm.
„Dieser Baum war die älteste Tochter der Hexe, die in den Weg gestellt, um dich zu verderben“, sagte der Weise.
Nach einer Weile kamen sie zu einem Brunnen. Das Wasser quoll rein wie ein Kristall hervor und bot sich dem König dar als lockendes Labsal.
„Trinkt nicht“, sagte der Weise, „warte, ich will für dich das Wasser schöpfen.“
Er schöpfte es aber nicht, sondern stieß mit dem gezückten Schwert mitten in den Brunnen hinein.
Da färbte sich das Wasser rot, und bald rann nur mehr Blut aus dem Brunnen.
„Das war die zweite Tochter der Hexe“, sagte der Weise, „auch die hat die Alte uns in den Weg gestellt, uns zu verderben.“
Der König dankte für die Rettung, und trotz Hunger und Durst ging die Reise weiter.
Nach einer Weile kamen sie zu einem Rosenstrauch. Der war wundervoll anzusehen mit seinen herrlichen Blüten, die einen zauberhaften Duft verströmten.
„So schöne Rosen habe ich noch nie gesehen“, sagte der König. „Ich werde einige pflücken, um ich an ihrem Duft zu erfreuen. Er wird mich Hunger und Durst vergessen lassen.“
„Nein“, sagte der Weise, „nicht du, ich werde die Rosen pflücken.“ Dann hieb er sein Schwert in den Strauch, und gleich sprang Blut hervor, als hätte er eine menschliche Ader durchschlagen.
„Das war die alte Heye zusammen mit ihrer jüngsten Tochter“, sagte der Weise, „sie wollte an uns den Tod ihres Sohnes rächen.“
Unbehelligt konnten sie nun das letzte Stück des Weges hinter sich bringen. Als sie die Grenze des finsteren Königreiches überschritten hatten, begann es auf der Stirn des Pferdes zu blitzen, und bald erstrahlte das Land von hellem Licht. Die schöne Landschaft blühte in diesem lichte auf.
Der König konnte dem Weisen nicht genug danken und bot ihm die Hälfte des Reiches an.
Aber der antwortete: „Herrsche du über das ganze Land, ich kehre zurück in mein kleines Haus im großen Wald.“
Dann war er verschwunden.
Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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