DER ALTE HUND UND DER WOLF

Ein Schäfer hatte einen Hund, den er Bodriga rief. Bodriga war sehr alt, er hatte keinen einzigen Zahn mehr, hinkte, und sein Leib wies viele Narben von Wolfsbissen auf. Er war dem Schäfer stets ein treuer Freund gewesen und ein furchtloser Verteidiger der Herde. Aber nun war er alt.
„Ein alter Hund gehört auf den Kehricht“, sagte eines Tages der Schäfer. „Wozu soll man einen alten Hund füttern? Er kann nicht mehr die jungen Schafe zur Herde zurücktreiben und bewachen kann er sie auch nicht.“ Man jagte also den alten Bodriga auf den Misthaufen und gab ihm nichts mehr zu fressen, und ein junger Hund wurde an seiner Statt aufgenommen.
Den alten Hund kränkte das sehr. Er legte sich auf den Kehricht und weinte.
Die Nacht kam. Der junge Hund kroch in seine Hütte und schlief. Der alte Hund, gewohnt, auch im Schlafe auf alle Geräusche zu achten, lag auf dem Kehrichthaufen mit wachen Sinnen.
Da witterte er plötzlich einen Wolf. Er erhob sich und wollte die Hürde überspringen. Aber die Beine versagten ihm, weil er den ganzen Tag nichts zu fressen bekommen hatte und ganz schwach vor Hunger war. Traurig legte er sich wieder hin und dachte: Der Schäfer hat mich weggejagt, nun wird der Wolf seine Schafe fressen. Der junge Hund aber schlief und so holte sich der Wolf in aller Ruhe ein Schaf aus der Hürde.
Am Morgen, als der Schäfer die Schafe melken kam, sah er, daß eines fehlte. Da erkannte er, wie schlecht der junge Hund das Hüten verstand, und er bedauerte, daß er den alten Hund weggejagt hatte. „Oh, hätte nur der alte Bodriga gewacht, dann hätte der Wolf das Schaf nicht bekommen“, jammerte er und gleich rief er den alten Hund herbei.
Bodriga war voller Freude. Am Abend legte er sich nicht mehr auf den Kehrichthaufen, auch nicht in die Hundehütte, sondern wachte, denn er ahnte, daß der Wolf heute wieder kommen würde, da ihm gestern die Beute ja so leicht zugefallen war.
Wirklich, der Wolf kam. Aber diesmal sah er sich enttäuscht. „Was willst Du?“ knurrte Bodriga.
„Frag nicht so albern“, heulte der Wolf, „ein Schaf will ich.“
„Mach daß du fortkommst, hier gibt es kein Schaf für dich“, sagte Bodriga.
„Eines kannst du mir schon geben, wir teilen es“, bettelte der Wolf.
„Ich will mit dir nichts zu schaffen haben. Gestern war ich schwach vor Hunger, darum bekamst du leichte Beute. Heute aber bin ich satt und stark genug, dich am Stehlen zu hindern.“
„Du willst mir also kein Schaf geben?“ sagte der Wolf, „dann kämpf mit mir.“
„Sobald meine Nachtwache beendet ist, komme ich zu dir in die Berge“, antwortete der Hund, „dort wollen wir kämpfen.“
Der Wolf sah ein, daß er heute kein Schaf bekommen könne, darum lief er davon, er nahm sich aber vor, sich an dem Hund zu rächen, und er holte sich noch den Bären und den Fuchs, damit sie ihm behilflich wären.
Der Hund kannte gar wohl die Gepflogenheiten des Wolfes. Darum ging er nicht allein in die Berge. Ein alter Kater und eine alte Sau begleiteten ihn. Es waren seine Kameraden des heimischen Herdes.
Als der Bär und der Fuchs den hinkenden Hund, den alten Kater und die alte Sau beisammen sahen, erschraken sie.
„Bruder“, schrie der Bär, „der erste sammelt schon Steine, gleich wird er uns erschlagen.“ Weil der Hund so daherhinkte, dachte der Bär, der Hund bücke sich fortwährend und klaube Steine auf.
„Und der zweite“, schrie der Fuchs, „der zweite schlägt schon mit dem Säbel um seine Flanke!“
Das war der Kater, der mit seinem Schweif nach links und rechts wedelte.
Als sie aber die alte Sau grunzen hörten, war es ihnen vollends unheimlich; da kroch der Bär in seiner Furcht auf einen Baum hinauf, und der Fuchs versteckte sich im nächsten Gebüsch. Es war ein Dorngebüsch.
Indes waren die frommen Haustiere am Waldrand angekommen.
„Wron, wron, wron“, knurrte der alte Kater.
Der Fuchs verstand: „Im Dorn, im Dorn, im Dorn“, und schnell lief er auf und davon in den tiefen, tiefen Wald hinein.
„Nauf, nauf, nauf“, grunzte die alte Sau.
Der Bär aber verstand „hinauf, hinauf, hinauf“, und er glaubte, die alte Sau wolle auf den Baum steigen und ihn holen.
Darum sprang er eiligst hinunter und floh in den tiefen, tiefen Wald.
Als der Wolf sah, wie seine Kameraden die Flucht ergriffen, packte auch ihn die Angst und er lief seinen Freunden nach in den tiefen, tiefen Wald.
Bodriga blieb als Sieger auf dem Kampfplatz zurück.
Vergnügt gingen er und seine Kameraden nach Hause und fortan hatte er es bei seinem herrn gut bis zu seinem Tode.

Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944

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