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DER BREITE, DER LANGE UND DER GLUTÄUGIGE
Diese Geschichte begab sich in jenen Zeiten, als die Katzen noch Schuhe trugen, die Frösche in Hauben umhergingen und die Esel bespornt durch die Gassen flanierten. Damals lebte in einem Lande ein König, der hatte eine Tochter von erbaulicher Schönheit. Prinzen und Könige aus allen Ländern warben um sie, aber sie konnte sich für keinen entscheiden, und schließlich ließ sie im Lande bekanntmachen, daß sie den zum Manne wählen werde, der sie drei Nächte so gut bewachen könne, daß sie nicht davon zu laufen imstande war.
Diese Aufgabe dünkte allen gar leicht. Und doch gelang es keinem ihrer Freier, zu verhindern, daß sie jedem schon in der ersten Nacht entkam, wofür er mit dem Leben bezahlen mußte. Davon redeten die Leute weit und breit, und so kam die Kunde auch zu den Ohren des jungen Königs Matasch, und gleich beschloß er, die Prinzessin für sich zu gewinnen. Vergeblich warnte ihn sein Vater. Der junge Prinz gab nicht nach. Er schnallte seinen Säbel um und ganz allein zog er in das Land der schönen Königstochter.
Am zweiten Tag seiner Reise begegnete er einem Menschen, der ihm gar seltsam erschien. Er trat auf ihn zu und fragte ihn, wohin er gehe.
„In die Welt, mein Glück zu suchen“, antwortete der seltsame Mensch.
„Was kannst du denn für ein Handwerk?“ fragte der Prinz.
„Überhaupt keines, aber ich kann, was niemand kann. Ich bin der Breite. Ich kann meinen Bauch so groß machen, daß sich darin ein ganzer Haufen Soldaten verkriechen kann.“ Und schon begann er seinen Leib zu dehnen und zu dehnen, und bald wurde die breite Straße für ihn zu schmal.
„Du gefällst mir“, sagte der Prinz. „Willst du mit mir kommen? Auch ich gehe in die Welt und suche mein Glück.“
„Warum nicht? Gehen wir!“ erwiderte der Breite, und gemeinsam wanderten sie weiter.
Nach einiger Zeit begegneten sie einem erschrecklich langen Menschen.
„Wohin gehst du?“ fragte Matasch.
„In die Welt“, antwortete der Lange.
„Was für ein Handwerk hast du gelernt?“
„Keines, aber ich kann, was niemand kann. Ich bin der Lange. Ich kann mich in die Höhe strecken, bis an die Wolken heran, und dann kann ich mit jedem Schritt eine Meile Weges zurücklegen“, sagte der Lange. Und schon begann er sich zu dehnen und zu dehnen, und bald langte er bis an die Wolken heran. Dann machte er einen Schritt, und schon war er eine Meile weit weg.
„Bleib hier“, rief der Prinz, „du gefällst mir, willst du nicht mit mir gehen?“
„Warum nicht“, antwortete der Lange und machte den Meilenschritt wieder zurück, und zu dritt marschierten sie weiter.
Sie kamen an einen Wald, und am Waldrand erblickten sie einen Menschen, der große Scheite Holz zu einem Haufen schichtete.
„Warum tust du das?“ fragte Matasch.
„Ich bin der Glutäugige“, antwortete der Mensch, „und wenn ich genug Holz gesammelt habe, werde ich mir ein Feuer anfachen. Wollt ihr sehen, wie?“ Und schon richtete er seinen Glutblick auf den Scheiterhaufen, und bald hatten seine glühenden Augen den Holzhaufen zum Brennen gebracht und die Flammen schlugen hoch zum Himmel.
„Du gefällst mir. Willst du nicht mit uns gehen?“ fragte Matasch.
„Einverstanden, ich gehe mit euch“, antwortete der Glutäugige, und somit waren sie schon vier, die da zusammen auf der Landstraße dahingingen.
Der junge König freute sich, daß er solche Wandergesellen gefunden hatte, er hielt sie gut, und sie durften auf seine Kosten essen und trinken, soviel sie wollten.
Schließlich kamen sie in die Stadt der schönen Prinzessin.
Dort vertraute Matasch seinen drei Begleitern an, was er vorhatte, und er versprach ihnen reichen Lohn, wenn sie ihm bei seinem Beginnen behilflich sein wollten. Gleich sagten alle drei Gesellen ja und er ging mit ihnen in den Palast, geradenwegs zum König, und sagte ihm, daß er mit seinen drei Gesellen die Prinzessin drei Nächte lang bewachen wolle.
„Überlegt euch die Sache gut“, warnte der König. „Entkommt euch die Prinzessin, dann werdet ihr alle vier geköpft.“
„Wir wagen es“, sagte alle vier.
„Nun gut, so kommt mit mir zu meiner Tochter“, sagte der alte König.
Die Prinzessin war in ihrer Kammer. Bei ihrem Anblick erschrak der Prinz vor Freude, so schön war sie, und auch sie verbarg ihr entzücken nicht, als sie ihn sah.
Der Breite legte sich gleich vor die Türe, welche die ganze Nacht offen bleiben mußte, der lange und der Glutäugige setzten sich jeder an ein Fenster. Nur diese zwei Fenster waren in der Kammer und auch die durften während der Nacht nicht geschlossen werden. Matasch aber setzte sich neben die Prinzessin.
Sie schwiegen beide, sahen einander nur an. So verging eine lange Weile, dann sagte die Prinzessin: „ich bin müde, ich will schlafen.“ Sie stand auf von ihrem Sessel, ging zu ihrem Bett und legte sich nieder. Bald darauf schien sie eingeschlafen zu sein.
Auch Matasch war müde. Er stütze seinen Ellenbogen auf die Stuhllehne, den Kopf in die hohle Hand und nach einer Weile schlief auch er ein. Der Glutäugige und der Lange waren schon früher eingeschlafen, und der Breite an der Tür schnarchte, daß es sich anhörte, als würde ein Sack hohler Nüsse hin und her geschüttelt.
Da erhob sich die Prinzessin. Sie hatte nicht geschlafen. Sie verwandelte sich in einen roten Apfel, und unter dem Ohr des Breiten rollte sie durch die Türe in den Hof.
Im gleichen Augenblick erwachte Matasch, und als er die Prinzessin im Zimmer nicht sah, weckte er gleich die drei Gesellen. Der Glutäugige steckte den Kopf zum Fenster hinaus. Er hatte nicht nur einen brennenden, sondern auch einen scharfen Blick, und er sah in der Ferne, weit vom Schloß, einen roten Apfel über eine grüne Wiese rollen. Er wies dem Langen die Richtung, und der dehnte sich und streckte sich zum Fenster hinaus, und er wurde lang und länger und schließlich reichte er bis an den Apfel heran, und als er sich wieder zusammenzog, hielt er den Apfel in der Hand und überreichte ihn dem Prinzen. Aber noch ehe Matasch ihn fassen konnte, hatte sich der Apfel in die Prinzessin zurückverwandelt.
Der alte König wunderte sich nicht wenig, als er am Morgen beim Betreten des Zimmers seine Tochter und Matasch nebeneinandersitzen sah. Es war ihm nicht sehr recht, denn er wußte ja nicht, daß auch Matasch ein König war, aber er schwieg und bewirtete seine vier Gäste. Das war gar nicht so einfach, denn der Breite aß auf einen Schlag zwei ochsen, trank vier Fässer Wein aus und blieb dabei immer noch hungrig und durstig.
Am zweiten Abend ging Matasch mit seinen drei Gesellen wieder in die Kammer der Prinzessin, aber der König hatte vorher seiner Tochter im Geheimen eingeschärft, schlauer zu sein und sich nicht wieder fangen zu lassen.
Alles war so wie in der ersten Nacht; der Breite vor der Tür, der Glutäugige und der Lange jeder an einem Fenster, der Prinz saß neben der Prinzessin, und wieder sagte die Prinzessin zum Prinzen, nachdem sie einander lange genug angeschaut hatten: „Ich bin müde“, und wieder legte sie sich auf ihr Bett.
Matasch wollte ja gern wach bleiben, aber allmählich fielen ihm die Augen zu und er schlief ein.
Als die Prinzessin sah, daß er und seine drei Gesellen schliefen, erhob sie sich von ihrem Lager, verwandelte sich in eine Taube und flog aus dem Fenster. Nur ganz wenig hatte sie dabei mit der Spitze eines Flügels den Haarschopf des Langen gestreift, aber er erwachte doch davon. Von der Taube aber sah er nichts mehr. So weckte er rasch den glutäugigen, und der erspähte sie und versengte mit der Glut seiner Augen die Flügel der Taube, so daß sie sich auf einen Baum niederlassen mußte. Da dehnte sich der Lange zum Fenster hinaus, und bald nachher hielt er Matasch die Taube entgegen. Aber bevor Matasch nach ihr greifen konnte, hatte sie sich in die Prinzessin zurückverwandelt.
Ach, wie ärgerlich war der alte König, als er auch am zweiten Morgen seine Tochter und die Gesellen nebeneinandersitzen sah. Aber er schwieg und bewirtete seine Gäste.
Als die dritte Nacht anbrach, ermahnte er seine Tochter eindringlich, sich ja nicht noch ein drittes Mal von diesem groben Gesellen einfangen zu lassen.
Matasch aber bat seine Gesellen sehr, in dieser Nacht ihre Aufmerksamkeit zu verdoppeln.
Als sie zur Prinzessin kamen, nahm jeder von ihnen wieder seinen Platz ein. Sie sprachen miteinander bis Mitternacht, dann sagte die Prinzessin wieder, sie sei müde, und legte sich auf ihr Bett. Matasch nahm sich fest vor, kein Auge zu schließen, aber er wurde so müde, so müde. Er merkte es gar nicht, daß ihm die Augen zufielen. Seine zwei Gesellen aber schliefen schon längst.
Nur die Prinzessin wachte, und als sie sah, daß ihre Wächter schliefen, erhob sie sich, verwandelte sich in eine Fliege und flog zum Fenster hinaus in den Hof. Dort verwandelte sie sich in einen fisch und tauchte auf den Grund des Schloßbrunnens unter.
Vielleicht hätten sie sie diesmal nicht gefunden, wenn die fliege beim Hinausfliegen dem Glutäugigen nicht an die Nasenspitze gestoßen wäre. Davon war er erwacht, und schon hatte er die Fliege gesehen und er sah auch, wie sie zum Fisch wurde und im Brunnen untertauchte. Da schlug er Lärm und alle vier stürzten in den Hof hinaus.
Der Brunnen war sehr tief, aber der Lange reckte sich bis an den Grund. Er wollte das Fischlein ergreifen, aber er konnte es nicht entdecken.
Ungeduldig rief der Breite: „Komm doch heraus und laß mich hinunter.“
Da kam der Lange aus der Brunnentiefe hervor und der Breite ließ sich ins Wasser hinunter. Das Wasser hatte nun keinen Platz mehr im Brunnen und ergoß sich über den Rand in den Hof. Das Fischlein aber war nicht zu sehen.
Da rief der Glutäugige: „Breiter, steig heraus, ich will sie suchen.“
Als der Breite hervorkam, sank das wenige Wasser, das noch im Brunnen war, zusammen, und der Glutäugige schaute es an mit seinen brennenden Blick. Das Wasser wurde heiß davon und immer heißer und schließlich begann es zu kochen und sprudelte über den Rand des Brunnens und jetzt kam auch das Fischlein heraus.
Kaum war es zur Erde gefallen, da verwandelte es sich in die Prinzessin. Hurtig sprang Matasch zu ihr, schloß sie in die Arme und drückte sie ans Herz. Den drei Gesellen dankte er für ihre Hilfe.
Der alte König staunte gewaltig, und sein Zorn war groß, als er die Prinzessin in Matschs Armen erblickte. Aber sie sagte: „Ich bin sein. Er hat die Probe bestanden und ich freue mich darüber.“ Denn sie liebte den schönen Jüngling.
Matasch nahm seine Braut, und geleitet von den drei Gesellen, verließen sie heimlich das Schloß.
Sie waren noch nicht weit gegangen, da bat die Prinzessin: „Sieh dich um, Glutäugiger, sieh, ob man uns verfolgt.“
Der Glutäugige tat es und meldete: „Ein Haufen Soldaten ist hinter uns her.“
„Das sind Soldaten meines Vaters. Sie wollen mich zurückbringen“, rief die Prinzessin. Sie riß ihren Schleier vom Kopf und warf ihn hinter sich. Dazu sprach sie: „So viele Fäden als das Tuch hat, so viel Holz hinter uns.“ Und im gleichen Augenblick richtete sich hinter ihnen ein dichter Wald auf.
Bevor sich die Soldaten durch diesen Wald hindurchgearbeitet hatten, waren die Fliehenden ein gut Stück weiter gelangt. Da bat die Prinzessin wieder den Glutäugigen, nach den Verfolgern Ausschau zu halten.
„Die Soldaten haben den Wald durchschritten und sind hinter uns her“, berichtete er.
„Sie werden uns nicht einholen“, sagte die Prinzessin und ließ eine Träne zur Erde fallen. „Werde zum Strom“, sprach sie dabei.
Im gleichen Augenblick rollten mächtige Wellen hinter ihnen dahin und wurden zu einem gewaltigen Strom.
Bevor die Soldaten über diesen Strom kommen konnten, waren die Fliehenden schon weit.
„Sieh hinter dich“, bat die Prinzessin den Glutäugigen. „Sieh, ob die Soldaten wieder hinter uns her sind.“
„Sie haben den Strom überquert und sind hinter uns her“, meldete er.
„Wenn es nur finster wäre“, rief die Prinzessin.
Kaum hatte sie das gesagt, da zog sich der Lange bis zu den Wolken empor und hielt seine Mütze derart vor die Sonne, daß sie selbst im Lichte weitereilen konnten, bei den Soldaten aber war es schwarze Nacht.
Als sie um ein gutes Stück weitergekommen waren, setzte der Lange seine Mütze wieder auf, und seine mächtigen Schritte brachten ihn schnell wieder zu seinen Kameraden.
Nun waren sie schon ganz nahe von Mataschs Reich, da holten die Soldaten sie wieder ein.
„Geht nur voraus in die Stadt“, sagte der Breite. „Ich werde sie schon auf den richtigen Weg bringen.“
Die anderen gingen also in die Stadt, der breite aber pflanzte sich vor dem Stadttor auf, das er mit seiner Leibesfülle ganz verstellte. Gleichzeitig sperrte er das Maul auf und so erwartete er die Soldaten.
Diese getrauten sich nicht ohne die Prinzessin zurückzukehren, darum stürmten sie auf den Breiten los. Sie hielten sein offenes Maul für das Stadttor und stürzten sich hinein.
Der Breite schloß den Mund und eilte hinter den anderen her in das königliche Schloß. So eilig hatte er es, daß die Erde unter ihm erzitterte.
Aus dem Schloß scholl ihm Jubel entgegen. Das Volk freute sich über die Rückkehr des jungen Königs und über seine schöne Frau.
Matasch aber fragte den Breiten: „Wo sind die Soldaten meines Schwiegervaters geblieben?“
„Da“, sagte der Breite und klopfte mit seinen Händen auf seinen ungeheuren Bauch. „Aber ich möchte sie gern wieder los sein, sie sind keine leichte Kost.“
„So laß sie heraus“, sagte lachend der junge König, und er rief alle Schloßbewohner zusammen, damit auch sie alles mit ansähen.
Der Breite stütze die Fäuste in die Hüften und begann zu husten. Das hättet ihr sehen sollen! Es war ein Spaß, daß man sich hätte schieflachen können. Ein Soldat nach dem anderen sprang aus dem großen Maul und jeder lief davon, so rasch er konnte. Nur der letzte war im Schlund hängengeblieben. Da nieste der Breite, und der Soldat flog wie ein Vogel durch die Luft und fiel auf einen Heuhaufen; dann lief auch er den anderen nach.
Einige Tage später wurde im Schloß die Hochzeit gefeiert und auch der Vater der Prinzessin war dabei. Den Langen hatten sie nach ihm geschickt, und der war früher bei ihm eingetroffen als die Soldaten. Mit dem Schwiegersohn, der ein König war, war der alte Schwiegervater ganz und gar einverstanden.
Matasch entlohnte seine drei Gesellen reichlich. Sie blieben für immer bei ihm und ließen es sich gut gehen.
Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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