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DER WEG ZUR SONNE UND ZUM MOND
Zwei junge Menschen liebten einander sehr. Sie war wie eine Taube, er wie ein Falke. Ihn nannte man Jenik und sie Hanuschka.
Hanuschkas Vater war ein reicher Bauer, Jeniks Vater ein armer Hirte. Aber Hanuschka war das gleich. Jenik konnte arm sein wie eine Kirchenmaus, er war schön und stattlich und sie war ihm gut.
Eines Tages zog Jenik sein bestes Gewand an und ging zu dem reichen Bauer, ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten.
Der Bauer hörte ihn ruhig an, dann sagte er: „Höre, Jenik, wenn du meine Tochter haben willst, so mußt du zuerst die Sonne fragen, warum sie nicht auch bei Nacht leuchtet und wärmt wie bei tage, und den Mond, warum er nicht bei Tag leuchtet wie bei Nacht. Sobald du das weißt, komm zurück und dann gebe ich dir meine Tochter zur Frau und eine große Mitgift obendrein.“
Als Jenik das vernommen hatte, setzte er fröhlich seinen Hut auf, nahm Abschied von Hanuschka und schlug den Weg zur Sonne ein.
Er ging über Berg und Tal, durch Felder und Wälder, viele, viele Tage, und endlich kam er zur Sonne. Sie ging gerade auf.
„Hallo“, rief er ihr zu, „warte ein wenig, ich muß dich etwas fragen.“
„Das muß aber rasch sein, ich habe nicht viel Zeit. Ich muß noch heute um die ganze Welt herumwandern.“
Jenik beeilte sich, und als er ganz nahe vor der Sonne stand, fragte er: „Warum leuchtest und wärmst du nicht bei Nacht ebenso wie am Tage?“
Wenn ich bei Nacht ebenso leuchten und wärmen würde wie bei Tage, müßte die Erde verbrennen“, sagte die Sonne und stieg steil am Himmel empor.
Jenik winkte ihr Dank zu und ging zum Mond.
„Hallo, lieber Mond, warte ein wenig, ich muß dich etwas fragen.“
„Nur rasch“, sagte der Mond und hielt ein wenig inne. „Die Welt wartet schon auf mein Licht.“
„Warum, du lieber Mond, leuchtest du nur bei Nacht und nicht auch am Tage?“
„Wenn ich auch bei Tag leuchten würde, könnte ich nicht den Tau bringen, und die Erde würde verdorren, denn der Tau ist ihr nötig wie der Segen Gottes“, antwortete der Mond und eilte fort.
Jenik hielt ihn nicht zurück. Er wußte was er wissen wollte, und machte sich auf den Weg nach der Heimat.
Hanuschka wußte vor Freude nicht, was beginnen, als sie ihren Jenik wiedersah.
Der Vater aber freute sich weniger, denn er hatte gehofft, daß Jenik nicht mehr zurückkehren werde. Eben deshalb hatte er ihn zur Sonne geschickt, weil er gemeint hatte, Jenik müsse in ihrer Nähe verbrennen.
Aber Jenik stand da, gesund und fröhlich, und war gar weise geworden, denn er wußte, warum die Sonne nur bei Tag und der Mond nur bei Nacht leuchtet. Ja, er war ein hübscher und tüchtiger Junge, und Hanuschka wollte jetzt ebensowenig von ihm lassen wie früher.
Was sollte der Alte tun? Er mußte sich fügen und Jenik bekam Hanuschka zur Frau. Man feierte eine fröhliche Hochzeit. Es gab dabei so viel Grütze mit süßem Honig, daß die Pfannen überflossen, und so viel Musik, daß die Berge widerhallten.
Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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