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DIE DREI GROSCHEN
Ein armer Mann reinigte die Gräben an der Reichsstraße. Zufällig geschah es, daß der König selbst auf der schönen, breiten Straße spazierenging und den armen Mann anredete: „Sage mir, mein Lieber, wieviel verdienst du für deine Tagesarbeit?“
„Oh, hochherrlicher König, ich bekomme für jeden Tag drei Groschen.“
Da wunderte sich der König und wollte wissen, sie der Mann es zustande bringe, mit so wenig Geld das Leben zu bestreiten.
„Ach, Eure Herrlichkeit, es wäre leicht, wenn man das Ganze für sich verbrauchen könnte. Aber von diesen drei Groschen gebe ich einen zurück, den zweiten verleihe ich und vom dritten lebe ich.“
Der König konnte den Sinn dieser Rede nicht begreifen. Er rieb sich mit der Hand die Stirne und dachte nach. Er fand aber keine Erklärung für die Worte des Armen und bat ihn deshalb, ihm doch noch einmal zu sagen, was er mit den drei Groschen tue.
„Nun, gnädigster Herr“, sagte der arme Mann, „das ist so: ich erhalte einen alten und hilflosen Vater; ihm gebe ich zurück, was er an mir getan hat. Aber ich ernähre auch einen kleinen Sohn; dem leihe ich, damit er mir einmal zurückgibt, wenn ich alt bin; und den dritten Groschen brauche ich für mein eigenes Leben.“
„Wohl dir, wenn es sich so verhält“, sagte freundlich der König. „Sieh, mein Lieber, ich habe zu Hause zwölf Räte und je mehr ich ihnen zahle, desto mehr wollen sie haben. Jetzt werde ich ihnen dieses Rätsel zum Lösen geben, das du mir vorhin aufgegeben hast. Aber wenn sie zu dir kommen, dich zu fragen, so sage ihnen die Lösung nicht eher, bis du mein Antlitz zu sehen bekommen wirst.“
Nachdem der König dies gesagt hatte, schenkte er dem Armen eine Handvoll Dukaten und ging dann heimwärts.
Zu Hause ließ der König die zwölf Räte vor sich rufen und sprach zu ihnen: „Ihr, die ihr mit so viel Geld fürs Leben nicht auskommt, euch muß ich sagen, daß hier in der Gegend ein armer Mann wohnt, der im Tag nur drei Groschen verdient, und von diesen drei Groschen gibt er einen zurück, einen verleiht er und vom dritten allein lebt er; und er lebt sehr ehrlich und ist wohlgenährt. Wenn ihr klug seid, so sagt mir, wie das der Arme macht. Könnt ihr mir bis übermorgen nicht antworten, so lasse ich euch alle davonjagen, damit ihr mir nicht unnütz mein Brot esset.“
Mit hängenden Nasen gingen die hohen Räte davon und setzten sich zusammen und berieten, was das alles bedeuten solle. Jeder von ihnen wollte der Klügste sein und doch konnte keiner begreifen, was der Arme gemeint hatte. Der Tag verging und auch der zweite Tag kam und ging vorüber. Am dritten Morgen sollten sie schon vor dem König erscheinen und hatten noch nicht den Sinn in den Worten des Mannes ergründet. Jemand riet ihnen, den Armen aufzusuchen, das werde ihnen am ehesten aus der Klemme helfen. Sie ermittelten seinen Namen und machten sich auf den Weg. Mit Bitten und Drohungen wollten sie aus ihm herausbringen, wie es sich mit den drei Groschen verhalte. Aber er ließ isch nicht einschüchtern. Er sagte, saß er vom König den Befehl habe, nichts davon zu verraten, solange er nicht das Antlitz des Königs erblicke.
„Wie sollen wir dir, du sündhafter Mensch, das Antlitz des Königs zeigen, wenn der König doch nicht auf unser Wort hin zu dir kommen wird und ein so armer Wicht wie du auch nicht vor dem König erscheinen darf? Du wirst uns auch so die Antwort geben müssen.“
„Wenn ihr nicht einmal wißt, wie ihr mir das Antlitz des Königs zeigen könnt, so wird aus unserem Mehl wohl kein Brot werden.“
Einer nach dem anderen versuchte, ihn umzustimmen. Sie versprachen ihm goldene Berge und schleppten ihm viel Geld herbei, damit er auch ohne die Gnade des Königs gut leben könne. Aber er bleib fest und verriet ihnen sein Geheimnis von den drei Groschen nicht. Erst als das Geld schon in Säcken vor ihm stand und er sie reichlich ausgelacht hatte, weil so kluge Herren sich keinen Rat wußten, zog er aus seiner Hosentasche einen der Dukaten hervor, die er vom König bekommen hatte, und sagte: „Nun seht, dahier ist des Königs Antlitz. Er hat es mir selbst geschenkt. Ich sehe es gut vor mir. Ich brauche also nicht zu fürchten, daß ich den Befehl meines Herrn übertrete, und kann euch alles, wie ihr es wollt, erklären.“ Und er gab ihnen die Lösung des Rätsels.
Die Räte konnten nun vor dem König die Rede des Armen deuten, obwohl sie nicht aus eigener Klugheit darauf gekommen waren. Aber der König ahnte gleich, wie die Dinge standen. Er ließ den Armen rufen und fragte ihn: „Sage mir du, wie das kommt; du bist doch sonst ein ehrlicher Mann und hast dich trotzdem gegen meinen königlichen Befehl vergangen?“
„Ich habe mich nicht vergangen, hochherrlicher König, denn ich habe geschwiegen wie ein Stein, solange ich dein Antlitz nicht erblickte. Aber hier sah ich dann dein Antlitz, du hast es mir selbst geschenkt.“ Bei diesen Worten zog er einen Dukaten mit dem bild des Königs aus der Tasche und erzählte dem König sein Erlebnis mit den zwölf Räten und wie sie ihn gebeten und ihm gedroht hatten und ihm schließlich viel Geld schenkten, um die Lösung zu erfahren.
Da sagte der König: „Du bist klug und hast mehr Verstand als meine zwölf Räte, du sollst nicht mehr im Straßengraben arbeiten, sondern ein großer Herr sein an meinem Hof und im Rate wirst du neben mir sitzen.“
„Und ihr?“ – das sagte er nun zu den zwölf Räten – „schämt ihr euch nicht? Was soll ich nun mit euch anfangen? Euch werde ich jetzt den Gehalt gewiß nicht mehr erhöhen, sondern euch lieber noch von dem wegnehmen, was ihr bekommt.“
Von nun an wagten es die Räte nie mehr, den König um eine Erhöhung ihres Gehaltes zu bitten.
Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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