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DER MANN OHNE SÜNDE
In einem Dorfe lebte ein armer Mann, der sehr ehrlich und fromm war. Obwohl er schon grau wie eine Taube war, hatte er nie in seinem Leben gesündigt, niemandem etwas zuleide getan oder einen Schaden zugefügt. Darüber war der Teufel in der Hölle sehr erbost; er kratzte sich hinter dem Ohr und sagte: „Da könnte man doch zerspringen! Was ist mit diesem Menschen los? Jeder andere, der noch so ehrlich und fromm ist, dient mir wenigstens einmal in seinem Leben. Aber dieser da kann heute oder morgen sterben und noch nie wird er mit zu Willen gewesen sein. Aber warte nur, dich werde ich auch noch drankriegen!“
Der arme Mann hatte keine Ahnung davon, daß ihm der Teufel nachstellen wollte. Er lebte zufrieden in seiner Hütte, betete jeden Tag zu Gott, trat niemandem nahe, beneidete niemanden um seinen Besitz und verhielt sich vor der Welt nach den Gesetzen des Herrn.
Da kam ihm nun einmal der Teufel in die Quere und dieser Teufel sah so aus, wie ihn einstens Gott erschaffen hatte. Zähne hatte er wie Pflöcke, an den Füßen Pferdehufe, an der Stirne Hörner – und es sei vergeben, daß es so gesagt werden muß – am Hintern noch einen Schwanz. Und er begann: „Nun, mein Lieber, weißt du wohl, wer ich bin? Von deiner Geburt an gehe ich ununterbrochen hinter dir einher und noch kein einziges Mal ist es mir gelungen, dich zu einer Sünde zu verführen. Jetzt sage, was du willst: entweder mußt du einen Menschen töten oder du mußt Gott verfluchen oder aber du mußt dich betrinken. Von diesen drei Sünden mußt du eine begehen, ob du nun willst oder nicht. Morgen komme ich wieder und dann sagst du mir, für welche Sünde du dich entschieden hast.“ Als er zu Ende gesprochen hatte, flog er zum Kamin hinaus.
Und was machte der ehrliche Mann? Wahrlich, er war nicht allzusehr erschrocken, denn er wußte, wer mit Gott hält, den verläßt Gott nicht. Er überlegte den ganzen Tag, was er tun sollte. Aber es fiel ihm nichts Richtiges ein. Er las fleißig in der Heiligen Schrift und zum Schluß betete er und seufzte: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.“
Aber am nächsten Tage kam der Teufel wieder durch den Rauchfang und stellte sich vor ihn: „Nun, hast du es dir schon überlegt?“
„Ei, freilich habe ich es mir überlegt. Wenn du der Teufel bist, so fahre zur Hölle, wohin dich Christus, der Herr, verdammt hat, und laß ehrliche Menschen in Ruh‘. Dir zuliebe werde ich nicht sündigen.“
„Aber ich sage dir, daß du mir nicht entgehen wirst. Denn es gibt nicht und wird nie einen Menschen auf dieser Welt geben, der nicht wenigstens einmal im Leben gesündigt hat. Wenn du dich dem widersetzest, so werde ich dich verzaubern, so daß du dann alle drei Sünden begehst. Überlege es dir gut, morgen werde ich wiederkommen.“
Wieder flog der Teufel zum Rauchfang hinaus.
Der arme Mann blieb beim Tisch sitzen und stützte den Kopf in die hohle Hand. Er sann und sann. Aber je länger er sich den Kopf zerbrach, desto mehr kam er darauf, daß der Teufel eigentlich recht hatte. „Wir Menschen sind doch alle Sünder, sonst wäre Christus umsonst am Kreuze gestorben; auch für mich ist er gestorben – und ich habe noch nicht gesündigt. Wahrhaftig, der Teufel kann recht haben. Nun, ich werde mich nicht lange mit ihm streiten – aber einen Menschen töten? Ei, das wäre eine zu große Sünde! Mein ganzes Leben habe ich niemandem etwas zuleide getan, auch nicht einem kleinen Kinde, nicht einmal mit dem Finger habe ich jemanden feindselig berührt – und jetzt soll ich auf einmal einen Menschen töten? Daraus wird nichts! – Und Gott fluchen? Ei, das wäre ein zu furchtbares Verbrechen! Von meiner Kindheit an habe ich mich gehütet, irgendeinem Menschen ein böses Wort zu sagen, und jetzt soll ich Gott fluchen? Auch das will ich nicht tun – Mich betrinken? Hm, das wäre wohl die kleinste Sünde, weil ich doch damit niemandem schade – nicht? Ich werde mich also betrinken, dann gehe ich nach Hause und schlafe mich aus – und fertig ist das Ganze und ich habe vor dem Teufel Ruhe.“
So überlegte der ehrliche Mann und bei dem letzten Gedanken stand er auf, dann ging er ins Wirtshaus und schaute einigen Gläsern auf den Grund.
Er kam berauscht nach Hause und schlief bis in den nächsten Tag hinein. Am Abend bekam er aber wieder Lust, ins Wirtshaus zu gehen, denn der Schnaps hatte ihm gar sehr geschmeckt.
Wieder kam er betrunken heim und machte im Rausch gar großen Lärm. Zum Unglück begann daraufhin sein kleiner Enkel zu weinen und der Mann wollte ihm zur Beruhigung den Rücken klopfen; er klopfte ihn aber auf den Kopf und so stark, daß der Enkel gleich für alle Zeiten beruhigt war. Da verfluchte der Mann die ganze Welt und fluchte dem Teufel und endlich auch dem lieben Gott.
Da sieht man, wohin es führt, wenn sich einer betrinkt. Wenn er sich nicht betrunken hätte, wäre er als ein Heiliger gestorben – und so endete er als der größte Verbrecher und Sünder. Freilich ist es schwer, sich nur einmal zu betrinken, denn man gewöhnt sich daran wie an ein Handwerk.
Vielleicht ist es aber auch schon eine Sünde, ganz ohne Sünde sein zu wollen.
Quelle: Slowakische Märchen; nacherzählt von Robert Michel und Cäcilie Tandler; Wilhelm Andermann Verlag Wien; 1944
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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