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Das Räuberhaus im Tanzer
Daß es neben dem großen Hansjörg, dem Johann Georg Grasel, auch noch andere Räuberbanden im Waldviertel gab, erzählt uns folgende Geschichte.
Vor langer Zeit wurde die Gegend um Schönbach durch eine Räuberschar unsicher gemacht, die in der unwegsamen Berg- und Waldgegend des Münzenberges und des „Tanzer“ ihr Unwesen trieb.
Mitten in diesen Wäldern lag ein einsames Feld, ein Acker, früher eine Wiese, die „Broatoin“ genannt. Unter einer „Oin“ versteht man in dieser Gegend eine hangseitige, trockene und steinige Wiese, die nur spärliches Gras hervorbringt und daher nur als Weide benutzt wird.
Hier hatten die Räuber ihr Lager aufgeschlagen und ihr Räuberhaus erbaut. Es war aus mächtigen Baumstämmen gezimmert und beherbergte mehrere Kammern, die den Räubern als Wohnstätte und als Aufbewahrungsort der geraubten Wertgegenstände dienten. Von hier aus zogen die Bösewichte weit ins Land, bis Traunstein und Ottenschlag, wo sie raubten und stahlen und die Warenzüge der Kaufleute überfielen.
So geschah es auch eines Tages, es war am Tag vor dem Karfreitag.
Auf den steinigen Wegen hinauf zum Tanzer lief ein Mann. Es war ein Spion der Räuber, der in Traunstein wohnte und die Räuber über alles unterrichtete, was im Land geschah.
Keuchend vor Anstrengung erreichte er das Haus und rief: „He, Hauptmann, eine wichtige Nachricht! In Traunstein ist eine Schar Kaufleute angekommen, die mehrere Wagenladungen wertvoller Stoffe und Sachen mit sich führen. Sie wandern morgen über Schönbach und Pertenschlag nach Arbesbach, wo sie bei einem großen Fest die Waren feilbieten wollen!“
Lachend vernahm der Räuberhauptmann diese für ihn gute Kunde. „Hab Dank für diese Nachricht“, sagte er, „gelingt der Überfall, so kannst du dir guten Lohn holen.“
Schnell rief er dann alle seine Genossen zusammen. Es war eine Schar verwegener Gesellen. Narben von vielen Kämpfen bedeckten die Gesichter, in ihren breiten Ledergürteln steckten Messer und Pistolen mit langen Läufen. Mehrere hatten auch Gewehre bei sich. Lange Bärte wuchsen auf ihren Gesichtern und struppig standen die Haare auf den Köpfen, die mit hohen spitzen Hüten bedeckt waren, welche lange Federn trugen. Feste Lederkleidung und hohe Stiefel bildeten ihr Gewand. Allein durch ihr Aussehen hatten sie schon manch Zaghaften erschreckt und ungehindert bestehlen können.
„Leute“, sagte der Hauptmann, „habt ihr gehört, das wird ein lustiger Tanz. Wir warten, bis die Kaufleute Schönbach verlassen haben und ins Kamptal hinuntergefahren sind, dort bei der Brücke lauern wir ihnen auf. Die Hälfte von uns packt sie von vorn, die andere Hälfte verhindert, daß sie über die Brücke zurückkommen. Wer sich wehrt, der wird erschossen! Alles verstanden?“
„Natürlich! Klar! Richtig so! Das wird ein Fest!“ So riefen die Räuber durcheinander.
Noch in der Nacht machten sie sich auf den Weg. Auf Pfaden, die nur ihnen bekannt waren, überschritten sie den Münzenberg, schlichen ins Tal und versteckten sich beiderseits der Brücke.
Nun begann ein langes Warten und es war bereits die Mittagsstunde des Karfreitags gekommen, als endlich der weiter oben stationierte Beobachtungsposten eilends herbeikam und meldete: „Sie kommen!“
Bald hörte man auch das Knarren der Wagen, das Quietschen der Bremsen und das Lachen und Reden der Kaufleute, die auf ihren Pferden neben den Wagen einherritten.
Eng schmiegten sich die Räuber ins Gestrüpp. Da kamen auch schon die ersten Wagen in Sicht. Langsam und vorsichtig fuhren sie über die morschen Holzplanken der Brücke. Die Reiter stiegen ab, um den Brückenübergang zu beaufsichtigen. Kaum war der letzte Wagen auf der Brücke, da krachte vorn ein Schuß, das Zeichen für den Überfall.
Schreiend und schießend brachen nun die Raubgesellen aus den Sträuchern. Ein paar Kaufleute, die sich wehren wollten, wurden mit Pistole und Säbel niedergemacht, die anderen drängten sich ängstlich bei den Wagen zusammen und wußten nicht aus noch ein.
Der Hauptmann sprang auf einen der Wagen und schrie ihnen zu: „Verhaltet euch ruhig, dann wird euch nichts geschehen, wir sind auf euer Leben nicht neugierig!“ Dann griff er lachend unter die Wagenplache und holte eine Rolle herrlichen Stoffes hervor, warf sie seinen Leuten zu und befahl: „Los, Freunde, holt euch die schönen Sachen dieser Herren dort!“ Dabei zeigte er mit dem Säbel auf die Schar ängstlicher Kaufmänner, die in einer Gruppe beisammenstehend, von mehreren Räubern bewacht wurden.
Die Spießgesellen ließen sich das nicht zweimal sagen. Kreischend und schreiend vor Spaß wurden die Wagen entleert, die Pferde ausgespannt, mit den geraubten Schätzen beladen, dann die Wagen zusammengeschoben und angezündet.
Bleichen Gesichtes mußten die Eigentümer zusehen, wie ihr Hab und Gut in Flammen aufging, während die schönsten Stücke davon mitsamt den Pferden von den Räubern geführt im Bergwald verschwanden. Dabei mußten sie noch froh sein, am Leben gelassen zu werden und so fielen sie auf die Knie und dankten Gott, als der letzte der Räuber mit den Worten: „Seid froh, daß wir euch nicht mitverbrannt haben!“ davonritt und sie zurückließ.
Gerade als es finster werden wollte, erreichte die Räuberbande ihr Haus. Einige Frauen, die ihnen den Haushalt führten, hatten schon mächtige Feuer entzündet, wo nun gekocht, getrunken und gefeiert, und wo das geraubte Gut verteilt werden sollte. Eine der Frauen jedoch stand abseits, betrachtete kopfschüttelnd das Treiben und sagte immer wieder: „Heut‘ ist doch Karfreitag. Achtet doch diesen Tag, sonst wird es ein schreckliches Ende nehmen. Feiern wir morgen.“ Niemand hörte auf sie und die es vernahmen, lachten laut darüber.
Als sie es auch dem Hauptmann sagte, da wurde dieser böse und fuhr sie an: „Halt dein Maul, altes Weib, sonst werden wir dir zeigen, wie Räuber den Karfreitag feiern und dich auf den höchsten Baum der Umgebung hängen!“ Da wurde die Alte still und ging zur Seite, wo sie sich bei den Bäumen niedersetzte und vor sich hinmurmelnd das Treiben bei den Feuern beobachtete.
Dort wurde nun von einem der Männer die Fiedel hervorgeholt, die Weinfässer wurden geöffnet, ein ganzes Schwein auf den Bratspieß gesteckt, gegrölt und gesungen, daß es weithin hallte.
Da erscholl plötzlich dumpfer Donner vom Himmel. Ein Gewitter zog über den Berg. Die Räuber, die nicht gerne naß wurden, stürzten schnell ins Haus, wo die unterbrochene Festlichkeit fortgeführt werden sollte.
Aber es kam anders. Ein starker Regenschauer löschte die Feuer und dann fuhr unter lautem Getöse ein mächtiger Blitz mitten in das Haus. Dumpf begann es daraufhin in der Erde zu dröhnen und ein Erdbeben erschütterte die Umgebung, Felsen wuchsen empor und umschlossen das Gebäude, das selbst zu Stein wurde und mit ihm alles, was sich darinnen befand.
Das alte Weiblein, das am Waldrand sitzend, den Untergang des Räuberhauses mitangesehen hatte, lief, sobald es sich vom Schrecken erholt hatte, in die Dörfer und erzählte vom Ende der Räuber und ihres Hauses.
Heute noch zeigen die Holzhauer ihren Kindern die mächtigen Felsen und schlagen mit einem Knüppel auf den Erdboden, um zu zeigen, wie hohl hier die Erde sei. Einige Steinplatten auf dem Weg sind tief ausgefahren und weisen noch die Spuren der Räuberwagen auf, die ja mit eisenbeschlagenen Wagenreifen fuhren.
Der Wald hat damals den Namen „Tanzer“ erhalten. Er soll an das frevelhafte Treiben der Raubgesellen erinnern und wie sie dadurch zugrundegingen.
Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
ISBN ohne Nummer
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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