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Das verwunschene Fräulein vom Weinsberg
Ungern eilt hier der Wanderer des Nachts vorüber, denn er fürchtet im Stöhnen des Windes das Seufzen des Burgfräuleins zu hören, des Burgfräuleins, von dem die Sage erzählt:
Der Herr auf Burg Weinsberg war ein gar arger Räuber und Raubritter. Kein Kaufmannszug und kein Weinfuhrwerk, die auf den Waldstraßen ins Böhmerland zogen, war vor ihm sicher. So kam es, daß sich große Schätze und Reichtümer in den Kellern der Burg ansammelten.
Die Tochter des Burgherrn, ein äußerst geiziges und goldgieriges Mädchen, war in die Schätze viel mehr verliebt als der Ritter selber. Den ganzen Tag über konnte es in den Schatzkammern sitzen, mit den Goldstücken spielen und sich mit edlem Geschmeide behängen.
Allmählich wurden die Räubereien dem Landesfürsten zuviel und das „Geräune“ (Gericht über die Raubritter) beschloß, die Burg zu erstürmen, den Ritter gefangenzusetzen und die Mauern schleifen zu lassen.
Es kamen nun böse Zeiten für die Bewohner von Burg Weinsberg. Die Belagerer, die weit in der Überzahl waren, schlossen die Burg ringsum ein, beschossen mit großen Schleudermaschinen die Mauern und Türme und versuchten unermüdlich die Tore aufzubrechen und die Feste zu erstürmen. Dazu kam, daß Wasser und Lebensmittel in der Burg immer knapper wurden. Eines Tages sah sich daher der Ritter gezwungen, Burg Weinsberg aufzugeben. Er ließ seine Tochter holen und sagte zu ihr: „Packe eiligst von deinen Sachen soviel zusammen, als du leicht tragen kannst. Wir müssen schleunigst durch den unterirdischen Gang aus der Burg fliehen, wenn wir nicht unseren Feinden in die Hände fallen wollen.“
Da begann das Mädchen zu jammern und schrie: „Was, ich soll weggehen, ohne meine Schätze mitnehmen zu können! Nie und nimmermehr werde ich mein Gold und die Edelsteine hier zurücklassen, eher will ich ewig hierbleiben und darüber wachen!“
Der Vater, der den Eigensinn seiner Tochter kannte und wußte, daß sie kaum gutwillig von den Reichtümern wegzubringen sein würde, kam dadurch derart in Wut, daß er sie anbrüllte: „So sei verflucht mit deinen Schätzen! Bleib bei ihnen sitzen und bewache sie von mir aus bis zum Jüngsten Tag!“ Dann verließ er mit seinen Kriegern eilends durch den unterirdischen Gang das Schloß.
Bald darauf drangen die Belagerer in die Burg ein. Sie durchstöberten alle Räume und Keller, sie fanden jedoch weder die Schätze noch das Burgfräulein.
Der Ritter, den man später einfing und vor Gericht stellte, machte, um seinen Kopf zu retten, genaue Angaben über die Lage der Schatzkammern. Trotzdem blieben diese unauffindbar und viele Leute, die versuchten, das Gold und die Edelsteine zu finden. mußten unverrichteter Dinge wieder abziehen.
So vergingen Jahrhunderte. Längst hatte man auf die Burg und ihre ehemaligen Bewohner vergessen. Efeu und Farnkraut hatten die Ruinen überwuchert und nur selten verirrte sich ein Holzhauer oder Pilzsucher in diesen abgelegenen Waldwinkel.
Da geschah es, daß einem armen Holzhauer aus Bärnkopf ein Kind geboren wurde. Er wandte sich an die Herrschaft mit der Bitte, einige Bretter für eine Wiege zu bekommen, in die er Mädchen legen wollte. Der damalige Herr dieser Gegend, der ein großer Menschenfreund war, gab ihm zwar keine Bretter, doch erlaubte er ihm, zum Berg hinaufzusteigen und sich dort einen Baum zu suchen, den er fällen sollte. Daraus könne er sich Bretter schneiden, um eine Wiege zu bauen.
Lange Zeit suchte der Holzhauer herum, um einen geeigneten Baum zu finden. Schließlich kam er zur Burgruine, wo er eine schöne Tanne sah, die aus den Trümmern wuchs. „Der Baum ist gerade richtig“, dachte er bei sich, nahm seine Hacke und schlug ihn um. Mühselig schleppte er ein geeignetes Stück davon nach Hause, schnitt Bretter daraus und zimmerte die Wiege. Darin wurde das Mädchen aufgezogen.
Als es 10 Jahre alt war, schickte es der Vater einmal in den Wald, um Reisig zu holen. Es war dies am Gründonnerstag. Nach einigem Umhergehen erreichte es die Ruine. Ängstlich wollte es vorbeischleichen, da hörte es jemanden weinen. Suchend blickte das Kind um sich und sah plötzlich eine reich gekleidete Frau in einer ihm unbekannten Tracht auf sich zukommen. Starr vor Schreck blieb es stehen.
„Fürchte dich nicht, mein Kind“, sagte die Frau, „ich tu dir nichts zuleide. Ich bin das Burgfräulein, daß seit Jahrhunderten hier im alten Schloß leben und die Schätze bewachen muß, von denen ich mich einst nicht trennen konnte. Du könntest mich erlösen, denn du bist in der Wiege aufgewachsen deren Holz hier auf dem Turm wuchs.“
„Was müßte ich denn da tun?“ stammelte das Mädchen. „Komm morgen um die neunte Stunde hierher“, antwortete das Burgfräulein, „es wird eine riesige Schlange den Berg herunterkommen und einen Schlüssel im Maul tragen. Fürchte dich nicht vor der Schlange. Das Ungeheuer kann dir nichts tun. Nimm ihm den Schlüssel aus dem Maul, geh dann hinauf zur Ruine und du wirst dort eine eiserne Tür sehen. Schließe sie mit dem Schlüssel auf und öffne dadurch die dahinter liegenden Schatzkammern. Alle Reichtümer, die du dort findest, gehören
Dann dir. Mich aber hast du von dem Fluch erlöst.“ Damit drehte sich die adelige Dame um und verschwand wieder in dem Trümmerfeld.
Das Kind eilte schnell nach Hause. Es erzählte niemandem von der seltsamen Erscheinung, setzte sich in einen Winkel und überlegte, ob es das gefährliche Abenteuer wagen solle. Schließlich dachte es bei sich: „Wenn du damit der armen verwunschenen Frau helfen kannst und außerdem noch große Reichtümer bekommst, dann solltest du es wohl probieren!“
Schon zeitig am nächsten Morgen, es war der Morgen des Karfreitags, verließ es mit einer Ausrede das elterliche Haus und lief so schnell als möglich zum Berggipfel. Pünktlich erreichte es um die neunte Stunde die Stelle, wo gestern die Frau erschienen war.
Kaum hatte sich das Mädchen dort umgesehen, da erscholl ein gewaltiges Brausen und vom Berg herab wälzte sich eine ungeheure große weiße Schlange. In ihrem breiten Maul trug sie einen goldenen Schlüssel. In riesigen Windungen kroch sie auf das Mädchen zu und zischte dabei furchterregend. Je näher sie kam, umso mehr begann sich das Kind zu fürchten. Schließlich war die Schlange ganz nah und das Mädchen hätte den Schlüssel ergreifen können. Da packte es jedoch so sehr die Angst, daß es zur Seite sprang und Hals über Kopf davonlief.
Schon war es ein großes Stück von der Schlange weg, da hörte es wieder das Weinen des Burgfräuleins. Erschrocken blieb es stehen und sah die Dame aus dem Wald hervortreten. Traurig schüttelte sie unter Schluchzen den Kopf und sagte dann: „Du hättest mich erlösen können. Auf dem Turm wuchs ein Baum, aus dem dein Vater deine Wiege zimmerte. Nur ein Kind, das in einer solchen Wiege aufgezogen wird, kann mich erlösen. Nun muß ich warten, bis der Zufall es will, daß wieder ein Baum aus den Trümmern hervorwächst und daraus eine Wiege gemacht Wird. Das kann viele Jahrhunderte dauern.“ Weinend und jammernd ging sie dann in den Wald zurück.
Bis zum heutigen Tag ist das Burgfräulein vom Weinsberger Wald unerlöst. Kein Baum ist mehr aus den Ruinen gesprossen und kein Kind war mehr in der Lage, es von dem Fluch zu befreien.
Der Wanderer aber, der nächtens am Fuße des Berges vorübereilt, der kann es immer noch hören, das Seufzen und Weinen des Burgfräuleins vom Weinsberger Wald.
Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
ISBN ohne Nummer
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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