Der Hehmann

Zwischen der Bezirkshauptstadt Horn und Göpfritz an der Wild erstreckt sich ein großes Waldgebiet, die Wild.
Hier trieb vor Jahren „Räuberhauptmann“ Johann Georg Grasel, der „große Hansjörg“, sein Unwesen. Von seinen Taten erzählt man in den Ortschaften rings um die Wild heute noch viele Geschichten.
Aber auch ein sagenhaftes Männlein soll sich in diesen Wäldern aufhalten, der Hehmann.
Er wird als kleines, buckliges Männchen geschildert, das ein spitzes, hohes Hütchen mit langer Feder auf dem Kopf hat und ein zerschlissenes, grünes Gewand trägt. Seine Füße stecken in alten Lederschuhen, die ihm viel zu groß scheinen. Er muß auch schon sehr alt sein, denn sein greisenhaftes Zwergengesicht scheint nur aus Runzeln und Falten zu bestehen, aus denen ein dünner, spärlicher Bart hervorsprießt.
Manchmal treibt er mit den Leuten Schabernack, macht sich über die Gefoppten lustig und viele behaupten, sein boshaftes und lautes Lachen „Hehehe“, das ihm den Namen gab, schon gehört zu haben. Es werden aber auch gute Dinge von ihm berichtet und manchem Wanderer oder Kindern, die sich im Wald verirrten, hat er aus Angst und Not geholfen.
So geschah es eines Tages vor 100 Jahren, daß ein paar Schweinetreiber mit einer Schweineherde durch die Wild in Richtung Göpfritz unterwegs waren.
Der Schweinehandel war damals ein recht einträgliches Geschäft. Die Händler wanderten weit nach Ungarn. bis in die Gegend des Bakony-Waldes. In diesem Waldgebiet gab es sehr viele Eichenbäume. Die Früchte dieser Bäume, die Eicheln, bildeten die Nahrung für riesige Schweineherden, die dort gezüchtet wurden. Hier erwarben nun die Händler billig mehrere hundert dieser Schweine, die in Wirklichkeit „Bakonyschweine“ heißen, in unserer Mundart aber „Pogauna“ genannt werden. In mehrwöchentlichen Viehtrieben wurden diese Tiere nun in unsere Gegend gebracht, wo man sie mit großem Gewinn weiterverkaufen konnte. Daß die Schweinetreiber unterwegs viele Abenteuer und absonderliche Geschichten erlebten, war selbstverständlich.
Nun waren sie in der Wild unterwegs. Als es Abend wurde, erreichten sie mit ihren Tieren eine Lichtung im dichtesten Urwaldgestrüpp und beschlossen, hier zu übernachten. Schnell wurde aus Ästen ein einfaches Gatter errichtet, in das man die Schweine trieb. Ein Feuer wurde angezündet, die Männer lagerten sich ringsherum und wärmten ihr Abendessen. Dabei wurde gescherzt und gelacht und es wurden allerlei unglaubliche Geschichten erzählt.
Schließlich nahm der Älteste von ihnen das Wort und sagte: „Freunde, ich weiß, daß sich in dieser Gegend der Hehmann aufhält. Vor langer Zeit bin ich hier einmal mit einem Trieb Schweine durchgezogen. Wir hatten damals auch einen gar großsprecherischen Burschen unter uns, der ständig über den Hehmann lachte und allerlei Spottverschen über ihn in die Wälder rief. In der Nacht, als alle schliefen, rächte sich der Hehmann. Er öffnete das Gatter, hinter dem die Schweine waren, trieb diese auseinander und tief in den Wald hinein. Als wir erwachten, waren alle Schweine fort und wir mußten lange suchen, um wenigstens einen Teil davon wieder zu finden. Der Rest blieb für immer verschwunden. Darum würde ich vorschlagen, legen wir für den Hehmann ein schönes Stück Fleisch und eine Flasche Wein zum Waldrand hin, damit er uns während der Nacht in Ruhe lasse.“
Den anderen Treibern war bei der Erzählung etwas unheimlich geworden. Noch dazu hörte man sonderbare Geräusche aus dem Wald. Ein Knacken und Knistern ging durch das Gehölz und im Flammenschein des Feuers schienen seltsame Schattengestalten zwischen den Bäumen zu tanzen.
So waren alle schnell mit dem Vorschlag einverstanden. Der Alte trug ein schönes Stück gebratenen Fleisches und eine gute Flasche ungarischen Weines zum Waldrand, legte diese Sachen dort auf einen Stein und rief: „Laß es dir gut schmecken, Hehmann, wir wünschen dir eine gute Mahlzeit!“
Dann kehrte er wieder zum Feuer zurück. Da alle von dem weiten Weg des vergangenen Tages müde waren, rollten sie sich jetzt in ihre Decken und schliefen bald ein.
Plötzlich erwachte der alte Mann. Es hatte ihn jemand bei der Schulter gepackt und heftig geschüttelt. Auch die anderen fuhren empor, als sie das laute „Hehehehe“ hörten. Es war aber kein Lachen, sondern ein warnendes Rufen. Und da sahen sie auch schon das Unglück. Das Feuer war nicht ausgegangen, sondern hatte sich, während sie schliefen, weitergefressen und fast den Waldrand erreicht, wo schon hohe Flammen emporschlugen und wo eine kleine, dürre Gestalt herumsprang und sie zu löschen versuchte.
Schnell kamen sie ihr zu Hilfe, schlugen mit Decken und
Asten die Flammen aus und es gelang nach schwerer Arbeit, das Feuer zu löschen.
Als sie dann erschöpft zu Boden sanken, da war der Kleine verschwunden. „Habt ihr ihn gesehen“, flüsterte der Alte, „das war der Hehmann. Er hat uns aus Dankbarkeit vor dem Feuer gewarnt. Hätte er uns nicht geweckt, so hätte der Wald Feuer gefangen und wir wären alle verbrannt.“
Zu ihrem Erstaunen war auch kein einziges der Schweine bei dem Durcheinander abhanden gekommen.
Am Morgen legten die Männer noch eine ausgiebige Mahlzeit für den Hehmann auf den Stein und sahen dann zu, daß sie aus dem Wald herauskamen. Später behauptete jeder von ihnen, er hätte während des ganzen Weges noch oft das Lachen des Hehmannes gehört:
„H e h e h e h e h e!“

Von diesem Lachen wurde bald landauf und landab erzählt. Viele machten sich darüber lustig. Besonders die Dorfbuben trieben es arg und benützten jede Gelegenheit „he, he, he“ in den Wald zu rufen.
So war es auch eines Tages in der Ortschaft Goggitsch in der Nähe von Stift Geras.
Die Dorfbuben, denen die Eltern schon oft vom Hehmann erzählt hatten, saßen am Dorfrand beisammen und überlegten, was sie wohl m Nachmittag alles treiben könnten. Es wurde hin- und hergeredet und schließlich hatte einer die Idee: „Wißt‘s wos! Geh‘ ma zum Wold aussi und schrei‘ ma in Hehmonn, vielleicht kimmt er goar!“
Die Kleineren fürchteten sich zwar, aber die Größeren erklärten ihnen, daß das völlig ungefährlich sei, und so ging die ganze Schar zum Waldrand hin. Voraus die Tapferen, ein paar geschickte, runde Steine in der Tasche, die man als Wurfgeschoß bei Gefahr verwenden konnte, hinterdrein die Zaghafteren. Bald hatten sie die Gegend des „Harter Waldes“ erreicht, wo sie sich, ungefähr 20 Meter von den ersten Bäumen entfernt, aufstellten und zu rufen begannen: „He, he, he, Hehmann! Komm heraus, wir fürchten dich nicht! He, he, he, Hehmann!“ Einige warfen auch Steine ins Gebüsch.
Da knackte es plötzlich im Unterholz. Ganz starr vor Schreck sahen sie einen großen, bärtigen Mann, der feurig funkelnde Augen hatte und ein grünes Gewand trug, aus dem Wald kommen. Er hatte einen langen Stock in der Hand und rief: „Na wartet, euch werde ich lehren, den Hehmann zu rufen! Wenn ihr ihn dahaben wollt, so sollt ihr ihn haben!“ Dabei lief er mit langen Schritten auf die Kinder zu.
Diese wurden nun sehr lebendig. Mit Geheul und Hilfegeschrei sprangen sie, so schnell sie ihre Beine trugen, davon.
Die Leute, die auf den Feldern arbeiteten, sahen das und kamen ihren Buben zu Hilfe. Ein Bauer, manche sagen, es wäre der Dorfschuster gewesen, der der stärkste Mann der Ortschaft war, war ihnen am nächsten.
Er faßte die Mistgabel, er hatte damit gerade Mist auf die Felder gebreitet, und eilte dem Waldmann entgegen. „He, du!“ rief er, „Ich werde dir zeigen, was es heißt, unsere Kinder o zu erschrecken.“ Mit diesen Worten warf er sich auf den Bärtigen.
Dieser stieß ein schauriges, meckerndes Lachen aus und schien dabei noch ein bißchen zu wachsen. Er riß mit einem Griff dem Bauern die Mistgabel aus der Hand, packte ihn dann bei der Brust, hob ihn hoch empor und warf ihn mit großer Gewalt zu Boden, wo der Mann bewegungslos liegen blieb. Dann drohte er mit den Fäusten zu den anderen Leuten hin, die in sicherer Entfernung stehengeblieben waren und rief mit tiefer Stimme:
„So wird es jedem gehen, der sich über den Hehmann lustig macht.“ Dann drehte er sich um und verschwand wieder im Wald.
Der Bauer lag lange Zeit mit gebrochenen Gliedern im Bett, ganz gesund wurde er niemals mehr.
Seit dieser Zeit hat man den Hehmann in Ruhe gelassen. Seinen Namen spricht man nur mehr leise hinter der vorgehaltenen Hand.
Auch in vielen anderen Orten werden solche Geschichten vom Hehmann erzählt. So auch in Hessendorf, wo er gar im Teich gewohnt haben soll.

Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
ISBN ohne Nummer

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