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Die Sage vom Furchenmännlein
Als vor vielen, vielen Jahren ein Bauer mit seinem Pflug Furchen in seinen Acker zog, bemerkte er plötzlich ein kleines, kaum fußhohes Männlein, welches zwischen den aufgeworfenen Schollen hin- und hersprang und bald hier, bald dort, etwas zu finden schien. Gar herzlich mußte er über die drolligen Sprünge des Männchens lachen. So zog der Bauer Furche um Furche und das Männlein hüpfte lustig hinterdrein.
Endlich war der Bauer mit seiner Arbeit fertig. Als er nach dem Kleinen blickte, sah er ihn blitzschnell hinter der letzten Furche verschwinden. Der Bauer schwieg gegenüber jedermann über sein seltsames Erlebnis.
Als er im Herbst wieder mit seinem Gespann auf dem Acker pflügte, sprang hinter der ersten aufgeworfenen Scholle abermals das Erdgeistchen hervor. Der Mann freute sich wieder an dem emsig suchenden Wicht und ließ ihn gewähren.
Als der Bauer mit seiner Arbeit fast zu Ende war, da kam ihm ein lustiger Gedanke. Er dachte bei sich: „An dir, kleiner Wicht, will ich einmal ein Späßchen erleben!“ und zog seinen Pflug in weitem Bogen um das Feld bis zu der Stelle, wo er zu ackern begonnen hatte. Als nun das Männchen der Furche entlang immer und immer wieder im Kreis herumlief, konnte sich der Bauer nicht mehr beherrschen und lachte aus vollem Halse. Verdutzt sah das Männchen empor und erkannte, daß es überlistet worden war.
Da wurde das Zwerglein auf einmal riesengroß. Zornesröte und wilder Grimm entstellten sein Gesicht und furchtbar drohend erklang seine Stimme: „Du armer Menschenwurm, nicht ungerächt soll es bleiben, daß du mit mir Schabernack treibst. Ein Glück für dich, daß du außerhalb des Furchenkreises stehst, sonst wäre es um dich geschehen!“ Daraufhin stürzte er sich auf den Bauern und verabreichte ihm eine arge Tracht Prügel. Schließlich verschwand der Erdgeist und hat sich seit dieser Zeit nie mehr gezeigt. Mit dem Glück des Bauern war es ab nun zu Ende. Er kam um all sein Hab und Gut und wurde zum Bettler.
Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
ISBN ohne Nummer
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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