Die verzauberte Geiss

Jahrmarkt und Viehmarkt war. Viele Buden, in denen man Geschenke, Stoffe, Gewand, Süßigkeiten und verschiedene andere Dinge zu kaufen bekam, standen rings um den Hauptplatz.
Gleich daneben war der Viehmarkt. Rinder, Ziegen, Schweine und allerlei Geflügel wurden zum Kauf angeboten. Von weit und breit waren die Kauflustigen gekommen und bevölkerten in einer lachenden, lärmenden und um die Preise feilschenden Schar den Platz. In ihrer Mitte befand sich ein Bauer aus der Gegend von Hoheneich, wir wollen ihn den Kasper nennen.
Kaspers Frau hatte ihn zum Viehmarkt geschickt, um hier eine Ziege zu erwerben.
„Paß ja gut auf, daß man dich nicht anschmiert!“ hatte sie zu ihm gesagt, „Du sollst eine Ziege kaufen, die nicht zu alt ist und die ein großes Euter hat, damit sie uns viel Milch liefert. Schau sie dir ja gut an, bevor du sie kaufst, und komm mir ja nicht mit einer alten, schwachen Geiß nach Hause!“
Bei diesen Worten drückte sie ihm einen Gulden in die Hand und meinte dazu, daß dies wohl genügend Geld sei, um eine Ziege zu erwerberi.
Sorgfältig wickelte Kasper den Gulden in sein buntkariertes Taschentuch, verstaute dieses dort, wo sein Hosensack am tiefsten war und marschierte los.
Als er die Stadt erreichte, ging er sogleich zum Viehmarkt. „Zuerst das Geschäft“, dachte er bei sich, „dann kannst du deinen Durst löschen, falls noch ein wenig Geld übrigbleibt.“ Lange musterte er das Angebot an Ziegen aus der Ferne. Bald hatte er sich auch für eine entschieden. Es war ein großes, kräftiges Tier mit einem dicken, prallen Euter und wundervoll gebogenen Hörnern. Langsam schlenderte er näher an den Verkäufer dieses Prachtstückes heran, ja nicht zu schnell, um möglichst wenig Interesse am Erwerb zu zeigen.
Der Verkäufer, der das Geschäft zu ahnen schien, redete auf Kasper ein, pries alle Vorzüge dieses Tieres und sagte zuletzt:
„Alles um einen Gulden! Komm schlag ein und der Handel gilt!“ Kasper stieß daraufhin ein großes Geschrei aus und erklärte, daß dies viel zu teuer sei und daß er zuerst die Ziegen der anderen Verkäufer betrachten wolle, die alle viel dicker und trotzdem billiger seien. Dabei drehte er sich um und tat, als ob er weggehen wolle.
Der Verkäufer, der sein Geschäft schwinden sah, lief ihm nach, packte ihn beim Rock und sagte: „Warum läufst du so schnell weg. Laß uns doch noch einmal reden. Ich glaube, ich könnte ein paar Kreuzer nachlassen.“ Kasper, der ja gar nicht die Absicht gehabt hatte, wegzugehen, zeigte sich nun wieder interessiert. Nach langem Handeln wurden sie einig. Das Geld wechselte den Besitzer, Kasper band die Ziege an einen mitgebrachten Strick und machte sich mit ihr auf den Heimweg.
Auf dem Wege aus der Stadt mußte er an einem großen Einkehrgasthaus vorbei. Die ganze Zeit über quälte ihn schon der Gedanke, was er sich dort wohl um die paar Kreuzer, die er sich beim Ziegenhandel erwirtschaftet hatte, kaufen könnte. Angelangt, band er die Ziege an einen Pflock, der am Straßenrand neben der Wirtschaft angebracht war, und ging ins Gasthaus.
Hier war eine lustige Gesellschaft beisammen. Marktfahrer, Bauern aus den umliegenden Orten, ein paar Geschäftsleute. Alle lachten, tranken und trieben mancherlei Späße mitsammen.
Kasper setzte sich in einen Winkel, bestellte sich einen Krug Wein, schmauchte fröhlich sein Pfeifchen und lachte bei jedem Witz und Spaß fleißig mit, den man in der Wirtsstube erzählte oder machte. Bei sich dachte er: „Heute ist ein guter Tag. Für meine paar Kreuzer erhalte ich nicht nur eine Bitsche voll Wein, nein, auch die Unterhaltung bekomme ich dazu gratis geliefert!“
Als er bezahlte, sah er, daß seine paar Kreuzer noch für einen Krug reichten, den er sogleich bestellte und sich einverleibte. Wohlig wärmte ihn der Wein und als er daran dachte, wie sehr ihn sein Weibchen erst loben würde, wenn er mit der schönen Ziege nach Hause kommen würde, da wurde ihm vor Freude ganz warm ums Herz und er sagte zu sich: „Kasper, du bist schon ein Glückspilz“ und war mit sich und dem Leben sehr zufrieden.
Als er es vom Turm eins schlagen hörte, machte er sich auf den Heimweg. Er verließ die gastliche Stätte, band seine Ziege, die treu auf ihn gewartet hatte, vom Pflock, gab ihr einen Kübel Wasser zu trinken und zog dann los.
Ziege und Kasper marschierten brav und erreichten so nach einer Stunde den heimatlichen Hof. Schon von weitem sah er seine Frau beim Haustor stehen, die erwartungsvoll ihrem Mann und vor allem der neuerworbenen Ziege entgegenblickte. Je näher jedoch Kasper und das Haustier kamen, umso länger wurde ihr Gesicht.
Kasper, der jede Regung ihres Gesichtes kannte und sah, daß sie immer zorniger wurde, je näher er kam, rief ihr von weitem zu: „Hallo, liebe Frau, schau welch nettes Tier ich mit nach Hause bringe, ab jetzt gibt es Milch im Überfluß. Hol nur schnell einen Kübel, wir wollen die Geiß gleich melken.“
Stumm schaute die Gattin auf den Gutgelaunten, stemmte die Arme kampfeslustig in die Hüften, dann warf sie ihm einen Zornesblick zu und sagte: „Du Narr von einem Mann! Was bringst du denn da daher? Das soll eine Ziege sein, die viel Milch gibt! Wo hast du denn deinen Verstand! Das ist doch ein Ziegenbock, wie soll ich diesen melken?“
Kasper, der mit großem Erstaunen die Worte seiner Gattin gehört hatte, drehte sich um und betrachtete das Tier. Was er sah, ließ ihn erschauern. Tatsächlich hatte er einen Ziegenbock am Strick. „Alle guten Geister!“ rief er erschrocken, „da hat sich die Geiß doch tatsächlich in einen Bock verwandelt. Wenn ich es nicht sehen würde, so würde ich es niemals glauben.“
Vergeblich versuchte er seiner Frau, die ihn abermals „Narr“, „Dummkopf“, „Esel“ und noch mancherlei mehr nannte, zu erklären, daß er wohl eine prachtvolle Ziege gekauft, daß sich diese aber unterwegs in einen Bock verwandelt habe. Schließlich sagt die Frau: „Jetzt pack aber schnell das Mistiveh und bringe es seinem Herrn zurück, er soll dir das Geld zurückgeben, sonst gehen wir zu Gericht!“
Wortlos nahm Kasper den Strick zur Hand, an dem der Ziegenbock hing, und machte sich wieder auf den Weg. Endlos lang kam ihm der Hinweg vor, bis er wieder die Stadt erreichte und an dem Wirtshaus vorbeiging. Der Wirt, dieser hatte in der Gaststube nicht mehr viel zu tun, da die meisten Gäste gegangen waren, stand vor der Tür und sah Kasper schon von weitem kommen.
„Aber, Kasper, wohin mit der Ziege?“ fragte er. Traurig schüttelte Kasper den Kopf und erzählte die ganze Geschichte. Als er jedoch auf den Verkäufer zu sprechen kam, da polterte er los: „Diesem Betrüger und Halsabschneider, dem werde ich es zeigen, dem werde ich die Gendarmen ins Haus schicken!“ Der Wirt sprach beruhigend auf Kasper ein und lud ihn schließlich in die Gaststube, um gratis und umsonst ein Glas Wein zu trinken, damit er sich beruhige.
Kasper, der kein Geld mehr hatte, der aber gern ein Gläschen trank, nahm die Einladung des Wirtes an, band den Ziegenbock an den Pflock und ging in die Gaststube. Lachend erzählte der Wirt den anderen Gästen den Vorfall und stellte Kasper einen Krug Wein hin. So verging wohl eine Stunde, man gab Kasper verschiedene, wohlgemeinte Ratschläge und ergötzte sich an der lustigen Geschichte. Als Kasper ausgetrunken hatte, machte er sich auf zum Ziegenverkäufer. Er band den Bock, der wieder treu vor dem Haus gewartet hatte, los und ging des Weges.
Je näher er dem Anwesen des Ziegenverkäufers kam, desto größer wurde sein Zorn. Als er in den Hof des Gebäudes trat und den vormaligen Besitzer der Ziege gerade bei der Haustür stehen sah, da brüllte er los: „Betrüger, Gauner, Schwindler!“ Das waren nur die geringsten der Schimpfwörter, die er dem Erstaunten an den Kopf warf. Als er wieder einmal Luft holen mußte, da benützte der Beschimpfte den Augenblick der Ruhe und rief: „Aber, Kasper, was hast du denn? Warum beschimpfst du mich so? Was habe ich dir denn getan?“
„Das fragst du noch“, antwortete Kasper, „da schau dir deine Ziege an! Du hast mir anstatt einer Ziege einen Bock verkauft!“
„Kasper, Kasper“, lachte daraufhin der Mann, „wo hast du denn deinen Kopf. Ich glaube, du hast zu tief in den Krug geschaut. Schau dir doch die Ziege an, ein so schönes Tier mit einem so großen Euter kann doch nie und nimmer ein Ziegenbock sein!“
Kasper drehte sich um und sah den vermeintlichen Ziegenbock an, dann machte er entsetzt einen weiten Sprung zur Seite. „Hölle und Teufel“, rief er, „jetzt ist es doch tatsächlich wieder ein weibliches Tier. Ich glaube, dieses Vieh hat den Bösen in sich. Einmal ist es eine Ziege, einmal ein Ziegenbock und so fort! Wer soll sich da auskennen!“
Kasper entschuldigte sich vielmals beim Ziegenverkäufer, der ihm kopfschüttelnd und lachend nachsah, als er sich wieder mit der Ziege am Strick auf den Heimweg machte.
Bald erreichte er das Gasthaus, wo er dem Wirt und den Gästen von der abermaligen Verwandlung des Ziegentieres berichtete. Er schloß mit den Worten: „Ab jetzt werde ich dieses Vieh nicht mehr aus den Augen lassen. Ich will sehen, wie es sich verwandelt.“ Er schlug auch die freundliche Einladung des Wirtes auf ein Glas Wein aus und wollte sofort weiterziehen.
Da rief ihn der Wirt unter dem Gelächter der anderen Gäste zurück und erzählte ihm, was es mit der Verwandlung der Geiß auf sich hätte. Als nämlich Kasper das erstemal in der Gaststube saß, da holte der Wirt heimlich seinen Ziegenbock aus dem Stall, der der Geiß sehr ähnlich sah, vertauschte die beiden Tiere und so trieb Kasper den Bock mit nach Hause. Als er dann kochend vor Zorn mit dem Bock zurückkam und abermals einkehrte, da vertauschte der Wirt zum zweiten Male die Tiere und so hing dann wieder die Geiß am Strick.
Kasper, der anfangs über diesen Streich recht böse war, ließ sich bald vom Wirt und den Gästen beruhigen und als sie ihm außerdem noch ein großes Glas Wein bezahlten, da lachte er schon selber über den Streich, den man ihm gespielt hatte.
Seiner Gattin, so beschloß er bei sich, wolle er wohl von dieser Sache nichts erzählen, da sie auf seine Wirtshausbesuche ohnehin schlecht zu sprechen war. Die übrigen Gäste bat er ebenfalls, davon zu schweigen und ihn nicht lächerlich zu machen. Einer der Gäste konnte aber den Mund nicht halten, und so wurde die Geschichte bald landaus und landein erzählt. Ein Zeitungsmann erfuhr davon und schrieb sie sogar in die Zeitung. Auch heute, nach über 100 Jahren, spricht man noch davon und lacht über den gelungenen Streich mit der „verhexten“ Ziege.

Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
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