Die Zwerglein von Langenlois

Die reiche Geschichte der Stadt bringt es mit sich, daß sich viele Erzählungen und Sagen um sie ranken. Von einer will ich nun erzählen, von den Zwerglein von Langenlois.
Vor vielen hundert Jahren, da hatte Langenlois zweierlei Bewohner. Kräftige und starke Menschen, die Weinbau und Holzhandel, Ackerbaü und Viehzucht betrieben, und kleine, zarte Menschlein, die sich hauptsächlich mit dem Bergbäu beschäftigten.
Die Großen waren stets gut gekleidet und ihren Reichtum und Besitz konnte man an ihren prächtigen Häusern wohl erkennen. Die Kleinen trugen immer einfaches Gewand und wohnten in winzigen ärmlichen Hütten. So kam es, daß die Großen
immer verächtlich auf die Kleinen sahen, sie „Zwerge, lästiges Pack“ und ähnliches nannten. Das verdroß die kleinen Leute so
sehr, daß sie beschlossen wegzuziehen, um dem Gespött und Gelächter endlich zu entgehen.
So kam der Tag, an dem sie auswanderten. Mit Sack und Pack zogen sie in die sogenannte „Vierziger Ried“, wo sie sich im Löß Keller gruben und diese als Wohnräume ausbauten.
Aber auch hier hatten sie nicht lange Ruhe. Einer der reichsten und angesehensten Bürger der Stadt, der sich immer am meisten über die „kleinen und armseligen Zwerge“ lustig gemacht hatte, ging bald darauf, als ihn die Langeweile plagte, hinauf zur „Vierziger Ried“. Als er einige der kleinen Kerle bemerkte, da rief er ihnen schon von weitem zu: „He, ihr kleinen Nichtsnutze und Tagediebe, es würde euch nicht schaden ein wenig fleißiger zu sein. Aber, was kann man schon von solchen Zwergen erwarten, die doch zur Arbeit viel zuwenig Kraft haben. Wenn ich so klein wäre, da würde ich mich schämen und mich nicht mehr bei wirklichen Menschen sehen lassen!“ So ging es noch längere Zeit fort.
Die Zwerge, die anfangs den ohnehin gewohnten Beleidigungen ruhig zuhörten, wurden doch allmählich zornig und, nachdem sie einige Worte mitsammen gesprochen hatten, sagte der Älteste von ihnen: „Du behauptest wir seien Faulenzer und Nichtstuer, du spottest über uns, weil wir so klein sind, du beleidigst uns, weil wir ärmlich gekleidet sind. Warum? Was haben wir dir getan? Komm doch mit, wir werden dir unsere Besitzturner zeigen, vielleicht bist du dann anderer Meinung über uns.“
Der reiche Bürger, der sich viel Spaß von einer Besichtigung der Zwergenwohnungen versprach, ging freudig mit.
Sie führten ihn durch einen Kellerraum in eine mächtige unterirdische 1-lalle. Hier blieb ihm vor Staunen der Mund offen. Riesige Töpfe voll Gold, das sie aus der Donau und aus dem
gewaschen hatten, herrlicher Schmuck, den sie selbst schmiedeten, viele edle Steine, die sie aus den Bergen des Waldviertels holten, so Granate, Opale, Bergkristalle, Rauchquarz, Turmaline und Achate, lagen ordentlich in Haufen geschichtet und wunderschön geschmiedete Waffen hingen an den Wänden.
Der Mann konnte sich nicht satt sehen. Immer wieder ließ er den Goldstaub durch die Finger rieseln, betrachtete die Edelsteine und spielte mit wertvollem Schmuck. Auf seine Spötterei hatte er völlig vergessen.
Als er nach langer Zeit alles gesehen hatte, führten ihn die Zwerge wieder ans Tageslicht. Eilends lief er nach Hause, wo er seinen Leuten von den riesigen Schätzen der Zwerge erzählte. Tag und Nacht dachte er an nichts mehr anderes, selbst im Traum sah er das Gold leuchten und die Steine glitzern. Eines Tages hielt er es nicht mehr aus, seine Gier war zu groß geworden. Er beschloß, die Zwerge zu berauben und sich die Schätze anzueignen. Seine Leute, die ihn davon abzuhalten versuchten, beruhigte er mit einigen Worten, dann zog er los. Besorgt blickten ihm seine Angehörigen nach. Sie sahen ihn die Weinberge hinaufwandern und die Wohnungen der Zwerge erreichen, wo er bald im Berg verschwand.
Der Tag verging und auch die Nacht, man sah und hörte nichts mehr von ihm. Als sich die Leute am nächsten Tag auf die Beine machten, um ihn zu suchen, da standen sie vor leeren Höhlen und Kellern. Über Nacht waren die Zwerge verschwunden und mit ihnen der Mann aus Langenlois. Nie mehr hat man von ihm gehört.

Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
ISBN ohne Nummer

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