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Johann Georg Grasel, „Räuberhauptmann“
Im Jahre 1815 hing überall in den Waldviertler Orten, von Stift Geras bis Zwettl und von Hadersdorf bis Gmünd, folgender Steckbrief in den Gendarmeriestationen und an den Plakatwänden: „Gesucht wird: Johann Georg Grasel, mit falschem Namen auch Haller, Frey, Schönau, Eigner und Kohl, aber auch der große Georg oder der große Hansjörg genannt, 25 Jahre alt, über 5 Schuh 6 Zoll groß (ungefähr 170 cm), von schlanker Statur, mit blassem, blatternarbigem Gesicht, mit dunkelbraunen Haaren und grauen Augen. Wer ihn fängt und bei der Polizei abliefert, der erhält als Belohnung 4.000 Gulden!“
4.000 Gulden waren ein gewaltiges Stück Geld. Konnte man sich doch um einen Gulden ein Paar Schuhe kaufen oder eine Woche im Gasthaus essen. Soviel war es den Behörden wert, den Johann Georg Grasel, den „Räuberhauptmann“ des Waldviertels, Held vieler Geschichten und Sagen, aber auch vieler Räubereien, Diebsgeschichten und Mordtaten, zu erwischen. Wie kaum ein anderer lebt er bis heute in der Erinnerung der Leute. Wenn sie an langen Winterabenden beisammensitzen und über die alten Zeiten reden, dann wird auch über ihn erzählt, er wird wieder in den Geschichten lebendig, er, Johann Georg Grasel, „der Räuberhauptmann“.
Im Jahre 1790 wurde dem Thomas Grasel und seiner Gattin, der Regina Grasel, beide wohnhaft in Neuserowitz bei Znaim in der heutigen Tschechoslowakei, ein Sohn geboren, den sie Johann Georg tauften. Damals gehörte diese Gegend noch zu Österreich und so war es den Eltern des kleinen Grasel leicht, in das Waldviertel einzuwandern und sich bei Hadersdorf am Kamp in einem kleinen Häuschen niederzulassen.
Früher standen außerhalb der größeren Orte überall so kleine Häuschen, die den Abdeckern, Wasenmeistern oder Schindern gehörten. Diese hatten die Aufgabe, die verendeten Tiere zu beseitigen. Sie waren bei den Leuten wenig beliebt und wurden gemieden. Untereinander kannten sie sich jedoch sehr gut und waren vielfach mitsammen verwandt. Auch die Mutter des kleinen Hansjörg entstammte einer solchen Abdeckerfamilie und so kam es, daß Grasel und seine Räuber in diesem Schinderhäuschen oft Zuflucht und Rettung vor den Gendarmen fanden.
Hansjörgl, der nie eine richtige Schule besuchte und das Lesen und Schreiben kaum erlernte, wurde von seinem Vater zum Stehlen erzogen. So stahl er schon mit sechs Jahren einem Mann die Brieftasche und lieferte seinem Vater das darin gefundene Geld ab.
Als Johann Georg 20 Jahre alt war, da war sein Name schon in aller Munde. Er war ein starker, kräftiger Bursche geworden. Die armen Leute erzählten von ihm, daß er ihnen aus der Not helfe und Geld und Sachen schenke, welche er den Reichen wegnehme. Es ist jedoch sicher, daß dies nicht stimmt. Viele erzählten auch von den Räubern, die er um sich geschart hatte, und deren Namen wurden allgemein bekannt. Es waren dies: Jakob Fähding‚ der den Spitznamen „Gams“ trug, Ignaz Stangl, auch der „schöne Nazi“ genannt, der alte Gföhlner, der immer einen großen zottigen Hund bei sich hatte, der Mottinger Michel, Sebastian Pieringer, den sie „Klampferer Wastl“ riefen, und natürlich auch
alte Grasel. Die ganze Bande war aber selten beisammen. Sie trafen sich meist nur, um einen gemeinsamen Einbruch zu machen und zerstreuten sich dann schnell wieder.
Solche Einbrüche gab es nun in großer Zahl im ganzen Waldviertel. Um nur einige aufzuzählen: 1810 wurde der Arzt Franz John in Pernegg beraubt, Einbrüche in Raabs an der Thaya und Zwetti folgten, 1811 war es ein Kaufmannsladen in Windigsteig, dann die Wohnung der Schneiderswitwe Maria Reismüller in Klein-Reichenbach bei Schwarzenau, 1812 wurde der Kaufmann Bauernfeind in Groß-Siegharts ausgeraubt, kurz darauf in Zwettl und Groß-Globnitz eingebrochen, wo Grasel sogar das Vieh aus den Ställen stahl. 1813 und 1814 machte Grasel so viele Einbrüche, daß sein Name sogar schon in Wien mit Angst und Schrecken ausgesprochen wurde. Orte wie Griesbach, Göpfritz
an der Wild, Pfaffenschlag, Eggern, Oberhollabrunn und wieder Zwettl waren die Diebsstationen.
Wie gefährlich und brutal Grasel dabei vorging, zeigen die Morde, die er in diesen Jahren beging. Den Gastwirt Michael Witzmann aus Obergrünbach erstach er mit dem Messer, bei einem Einbruch in Zwettl tötete er die Hausbesitzerin Maria Schindler durch Schläge. Während eines Streites in der Nähe von ……tis stach er den Tabakaufseher Sobolofsky und den Fleischhauer Schwarzinger nieder. Sobolofsky starb fünf Monate später an den Folgen dieser Verwundung. Ebenso starb die fünfundsechzigjährige Witwe Katharina androsch aus Zettenreith an den Folgen der Misshandlungen, die ihr von Grasel zugefügt worden waren.
Daß der alte Grasel nicht besser war, zeigt der Mord an dem Landwirt Michael Binder aus Wörnhards, den er mit dem Messer umbrachte.
Diese Liste von Untaten könnte lange fortgesetzt werden. Schließlich gingen Gendarmerie und Polizei mit aller Macht gegen Grasel und seine Kumpane vor. Grasel konnte ihnen zwar stets entwischen, seine Räuber wurden aber immer weniger, da einige davon eingefangen, andere auf der Flucht erschossen wurden. Eines Tages erwischte es aber auch den „großen Hansjörg“, und das geschah so:
Grasel war recht einsam geworden. Er war auf der Suche nach neuen Leuten und hielt sich in der Umgebung von Horn auf. Ein Detektiv namens David Mayer beschloß, den Grasel zu erwischen und legte sich einen guten Plan zurecht. Er hatte erfahren, daß die Braut des Grasel im Gefängnis zu Drosendorf
gefangen gehalten wurde. Er fand eine ehemalige Diebin, die ihm helfen wollte. Diese ließ sich zu Grasels Freundin einsperren und erzählte ihr, daß sie einen Freund hätte, der sie befreien würde.
In der Nacht schlich nun Mayer zum Gefängnisfenster und flüsterte hinein: „Hallo, seid ihr da unten? Ich will euch herausholen!“ Dann besorgte er sich die GefängnisschlüsseL sperrte die Türen auf und entfloh mit den beiden Frauen. Zu Grasels Freundin sagte er: „Ich bin ein Räuber und suche den Grasel, damit ich seiner Bande beitreten kann.“ Das Mädchen, das Mayer glaubte, führte ihn in die Gegend von Maria Dreieichen und versprach ihm, ihn mit Grasel zusammenzubringen. Schließlich traf er Grasel tatsächlich in der Horner Wasenmeisterei. Die beiden beschlossen, die Gegend zu verlassen und in die Tschechoslowakei auszuwandern.
Sie besorgten sich einen Wagen und fuhren Richtung tschechische Grenze. Als sie durch die Ortschaft Mörtersdorf in der Nähe von Drosendorf kamen, überredete Mayer den Grasel im Gasthaus einzukehren. In dem kleinen Gasthaus saßen mehrere Bauern und zwei Soldaten beim Kartenspiel. Mayer meinte: „Ich gehe zuerst hinein und schaue, ob die Luft rein ist.“
Er ging ins Wirtshaus und sagte dort zu den Leuten: „Paßt auf, gleich wird der Grasel hereinkommen. Ihr müßt mir helfen ihn zu fangen. Jeder von euch wird eine hohe Belohnung erhalten!“ Die Leute waren anfangs ängstlich, beschlossen aber dann, wegen der Belohnung mitzuhelfen.
Als Grasel die Wirtsstube betrat, da packte ihn Mayer von rückwärts und riß ihn zu Boden. Nun stürzten sich auch die anderen auf ihn und hielten ihn fest. Er versuchte zwar, sich mit ungeheurer Kraft zu befreien, schnell aber banden sie ihn mit Stricken, der Räuberhaupann war gefangen.
Da man Angst hatte, daß ihn seine Freunde befreien würden, brachte man ihn schnell ins Gefängnis nach Horn und bald darauf nach Wien.
Nun wurden auch viele seiner Raubgenossen gefangen. Insgesamt gab es 214 Leute, die mit Grasel in Verbindung standen. Die Gerichtsverhandlungen gegen sie dauerten fast drei Jahre. Schließlich wurde über Johann Georg Grasel das Todesurteil ausgesprochen und der Räuber wurde am 31. Jänner 1818 in Wien hingerichtet.
Nach seinem Tode, als man sich vor den Räubern nicht mehr zu fürchten brauchte, wurden immer neue Geschichten über ihn erzählt, es wurden immer neue dazu erfunden und sie wurden so ausgeschmückt, daß er allmählich zu einem Helden wurde, der die Armen beschützte und die Reichen bestahl. Es wurden Gedichte über ihn gemacht und Romane über ihn geschrieben, viele Höhlen hießen auf einmal „Graselhöhle“ obwohl er diese kaum je gesehen, geschweige denn bewohnt hat.
Und so spinnt und webt die Sage weiter um den großen Hansjörg, um Johann Georg Grasel, den „Räuberhauptmann“.
Quelle: Waldviertler Heimatbuch, Helmut Sauer, Verlag Josef Leutgeb, Zwettl, 2. Auflage 1977, Band I
ISBN ohne Nummer
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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