Die Eiche im Jahreskreis

.... ein Rückblick aus gegebenem Anlass ...

Es beginnt irgendwann in einem März, als noch Winter war ...

... und viele Winter hat sie schon gesehen, die mächtige Eiche, und eisiger Wind umspielt sie fast immer in der frostklirrenden Jahreszeit. Sausend und heulend fährt oft der Wintersturm durchs Geäst, zerrt an den Zweigen, biegt und peitscht die Äste, bricht so manche Bresche in das Gewirr ...

Doch wenn sonnenwarme Wintertage die Landschaft still und sanft erscheinen lassen, steht auch die Eiche still und friedlich, und der Schnee läßt das schwarze Holzgerippe weich und sanft erscheinen ....

... gut ist das Verweilen dann unter dem breiten Schirm, der das Licht kaum abhält, und gut kann man sich an den Stamm lehnen und seine rauhe Freundschaft spüren ...

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Langsam macht sich das Frühjahr daran ...

... die Luft zu erwärmen und die Rinde der alten Eiche mit dem neuen Licht des Jahres zu umschmeicheln. Darunter strömt schon der Saft in die Höhe und der soll ehest die Knospen zum Schwellen bringen - der Schnee ist vergangen und zaghaft macht sich das Grün breit .....

... bald bricht das überquellende Leben des Frühlings los ....

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Ende April ...

Grün gefleckt ist die Landschaft von den gerade neu austreibenden Büschen und Bäumen, dazwischen finden sich aber noch bräunliche oder grün angehauchte, vielfach noch mit dem Austrieb wartende Pflanzen. Die Frühlingssonne wirkt scheinbar ganz verschieden sogar auf gleiche Arten, aber Standort, Wind, Nachbarpflanzen oder Bodennutzung haben ihre eigenen Auswirkungen. Die Zeit des Wachsens und Werdens hat jede Pflanze den für sie günstigen Zeitpunkt des Austreibens der Bläter erlernen lassen, und so warten manche eben geduldig ab ...

Die alte Eiche jedenfalls hat mit mächtigem Schub binnen weniger Tage sattes Grün an jeder Astspitze angelegt, das eine riesige, weithin sichtbare Halbkugel bildet. Es ist nun wieder die Zeit, wo der Baum raschelnd zu flüstern beginnt, wenn der Wind leise durch die Äste streicht und die noch weichen, hellen Blätter bewegt ...

... die sich langsam und leise - nur für den mit tiefsten Sinnen lauschenden Menschen hörbar - knisternd weiter entfalten ...

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Juli:

Hitze flimmert über den Wiesen und blendet das Auge mit gleißendem Grün, das mit dem Gelb und Braun der fruchtenden Halme durchsetzt ist. Die Blätter von Büschen und Bäumen sind der brennenden Sonne ausgesetzt, die das Wasser und damit die lebenswichtige Feuchtigkeit heraussaugt und an die flimmernde Luft übergibt; anstatt mit dem Blattgrün zu assimilieren, färben sich die Blätter braun, um Schlimmeres zu verhindern ... nur die Eiche steht unbeirrt, trotzt der Hitze, ringt der Sonne mit tausenden von Blättern den Schatten ab, mit dem sie ihre Rinde und Wurzeln kühl hält. Sie wartet.

Denn sie weiß: Der nächste Regen kommt ... das WANN scheint ihr egal ...

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August:

Das den Boden weit überschirmende Blätterdach hat der Sommerhitze erfolgreich getrotzt - es hat sich gelohnt, so starke Äste zu bilden und sie weit hinaus in die Umgebung langen zu lassen. Es hat sich gelohnt, sich in eine dicke Borke zu hüllen und damit einen Polster für's Überleben zu haben. Und unzählbar sind die kleinen und kleinsten Lebewesen, die unter Blättern, auf den Zweigen, in den Ritzen der Borke und in den Achseln der Äste entweder eine kühle Wohnstätte oder auch nur eine wohltemperierte Raststatt gefunden haben. Und ebenso unzählbar sind die Tiere, welche die Rinde nach eben diesen Lebewesen abgesucht haben, um selber zu überleben ... und unsichtbar sind jene Tiere, welche in der Nacht lebendig werden und im Dunkel die Eiche beleben.

Manche kratzend und schabend kletternd, schmatzend fressend, andere lautlos ... und todbringend für Unvorsichtige ...

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Anfang Oktober:

Die Menschen haben den Boden abgeerntet, und die Eiche hat den Menschen zugeschaut, wie sie ihn danach neu umgebrochen haben ... es ist nun Zeit für ihre eigenen Früchte, und sie wirft sie reichlich zu Boden. Alles was vier Beine hat und Gefallen findet am herben Geschmack der Eicheln, sammelt sich unter dem Baum und mästet sich für den Winter. Alles was Federn hat, pflückt die locker in den Schalen sitzenden Früchte und fliegt eilig davon, um sie irgendwo zu verstecken. In tausenden Ritzen und Spalten, in zahllosen Fugen und Furchen verschwinden die verlockend glänzenden Eicheln, um im Winter wieder aufgesucht, hervorgeholt und gefressen - oder einfach vergessen zu werden!

So wird seltsamerweise die Vergesslichkeit der Natur zum großen Gestalter der Natur ...

Die Arbeit des Jahres ist getan - das Kraftwerk "Eiche" stellt langsam ihren Betrieb ein, und schon findet man die ersten Büschel bunt verfärbten Laubes ... eines hier ... eines dort ... eines oben ... und eines unten ...

Für jene, die mit den Kalenderblättern der Natur vertraut sind, beginnt nun die Zeit, sich langsam für den kommenden Winter zu rüsten ...

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Oktober:

Die Eiche sammelt ihre Kräfte für den kommenden Winter. Sie entzieht den Blättern die letzten Energien und diese beginnen sich zu verhärten, zu trocknen und sich zu verfärben. Zartes Grün findet sich jetzt neben gelb und hellem Braun. Die ersten Blätter lösen sich sanft, fallen zu Boden und lassen diesen zu flüstern beginnen, wenn Beine oder Pfoten unter der Eiche durchstreichen. Plötzlich wirkt der Baum verändert - man sieht hinein in die Wohnstatt jener Lebewesen, die ihn im Sommer bevölkert, die in ihm Schutz - oder durch jagendes Volk das Verderben - gefunden haben! Noch stützt das dunkle Aderwerk des Geästes das schütter werdende Laubdach.

Aber schon rüttelt der kälter werdende Wind an den belaubten Ästen und mahnt, sich für die eisigen Winterstürme zu rüsten ...

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Ende Oktober:

Die meisten Bäume sind bereits kahl, haben sich schon befreit von der Last ihrer Blätter. Die Eiche läßt sich Zeit, sie hat keine Eile, wenngleich schon viele ihrer Blätter die Reise mit dem zausenden Wind angetreten haben oder einfach zu Boden fielen, um dort sich in den kommenden Monaten zu Erde zu verwandeln. Schon steht die Sonne tiefer und bringt mit ihrem sanften Licht noch einmal die verbleibenden Blätter zum Leuchten. Jetzt ist es anders als am Anfang des Monats: Waren dort erst vereinzelte bunte Büschel von herbstlich gefärbten Blättern zu sehen, sind jetzt nun nur mehr vereinzelte Büschel von grünen Blättern zu sehen ...

... und alle anderen sind nun leuchtendes Herbstbunt ...

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Anfang November:

Die Herbstnebel halten sich jetzt am Morgen schon länger über den Feldern und Wiesen. Die Landschaft wird dadurch stiller, gedämpfter, geheimnisvoller ... und die Farben werden mit der Entfernung ganz weich und sanft. Die Eiche jedoch wirkt dunkel, fast schwarz, und umgibt sich mit einer ablehnenden Düsternis, während sie ihre Äste wie ein schwarzes Gerippe in den weißgrauen Himmel reckt und das Laub darauf trostlose braune Flecken bildet ...

Es scheint, als ob sie der tagelang nicht zu sehenden Sonne nachtrauern würde ...

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Mitte November:

Die Sonne hat aber immer wieder die Kraft, die Herbstnebel aufzulösen. Und hilft der alten Eiche, die Farbe des letzten Herbstlaubes noch einmal aufleuchten zu lassen.

Doch die Zeit der hellen, bunten Farben ist endgültig vorbei ... zu viele Blätter sind schon zu Boden gefallen, dafür dringt die Sonne jetzt aber ungehindert bis zu den Ästen, dem Stamm und deren Rinde vor, sorgt für ein verwirrendes Schattenspiel im dichten Labyrinth der starken Äste ...

Je öfter ich hierherkomme, desto vertrauter wird mir das Bild der Eiche, und desto mehr neue Eindrücke nehme ich mit, desto mehr neue Betrachtungsweisen finde ich .... es ist ein geduldiges Mehren des Anblicks und dessen Schönheit ...

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Dezember:

Die Wintertage sind so kurz - ansonsten aber würde man vielleicht gar nicht bemerken, dass Winter ist. Die Temperaturen sind diesmal zu hoch, in den Niederungen kein Schnee weit und breit.

Es ist eigentlich noch früh am Nachmittag, aber dennoch färbt sich der Himmel nachtblau, wird die Landschaft von einem leichten Schleier überwallt. Die alte Eiche steht da, ist wie immer verläßlich an ihrem Standort ... meine Augen gleiten über sie hinweg, vertraut ist mir ihr Anblick - und dennoch finde ich mit einem Male etwas ...

... am untersten Ast hängen immer noch Blätter ...

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Anfang Februar:

Die Sonne hat in diesen Winter den Schnee schnell vergehen lassen - und der Frost kam zu spät, um ihn noch retten zu können. So liegt die Erde frosthart da und läßt den Wanderer torkeln und taumeln, wenn er über die Schollen geht. Die Eiche steht reglos in der Kält, die schweren, dunklen Äste verzweigen sich kunstvoll immer weiter, ohne einander zu hemmen. Die Knospen bereiten sich schon vor, in jeden Raum zwischen den zarten Zweigen ein Blatt hineinzutreiben.
Ich gehe um den Stamm, rede mit dem Baum, berühre ihn mit den Fingern, erzähle ihm was mich gerade bewegt - und werde plötzlich aufmerksam ....
Etwas ist anders, etwas ist anders als sonst ... etwas ist anders geworden ....

Am nächsten Tag am frühen Morgen werde ich ihn noch einmal besuchen .... ihn fragen ...

Was ist nur ... ?

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beobachten wir sie eine Weile .... >>Die Eiche

 

 
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